Inhalt

May Raven

Monster Geek

Die Gefahr in den Waeldern

Astrid Behrendt
Rheinstraße 60, 51371 Leverkusen
www.drachenmond.de, info@drachenmond.de

Lektorat
Marion Lembke

Korrektorat
Michaela Retetzki

Satz, Layout
Martin Behrendt

Bildmaterial
Shutterstock

Umschlaggestaltung
Alexander Kopainski

ISBN: 978-3-95991-261-7
ISBN der Druckausgabe: 978-3-95991-271-6

1.

Hinter jeder Tür verbirgt sich
eine Überraschung

Dieser verdammte Vampir versuchte doch tatsächlich, mir zu entwischen! Seine schnellen Schritte donnerten über den Asphalt und gaben mir somit genügend Anhaltspunkte, in welche der zwei engen Gassen er abgebogen war. Wie lange wollte er denn noch davonlaufen und vor allem wohin? Die Gegend war mir bekannt und ich wusste, dass sich nach der nächsten Ecke am Ende der Straße eine Sackgasse befand. Ihm war es daher unmöglich, zu entkommen – außer er konnte fliegen, und wie wir alle wissen, ist das idiotischer Humbug. Wie so einiges.

Als ich das Tempo erhöhte, spritzten Blutreste in alle Richtungen von meinem Katana, das ich fest in der Hand hielt. Damit hatte ich vor wenigen Minuten ein hübsches Zeichen in einen Vampirbauch geschlitzt, was den Vampir der Länge nach zerteilt hatte, und es einem zweiten durch sein gieriges, ausgedörrtes Herz gestoßen. Zum Glück war ich schnell, schneller als viele andere Jäger, was mir schon oft meinen süßen Arsch gerettet hatte. Das lag nicht an meiner Magie, war jedoch kein Wunder, so oft, wie ich hinter etwas nachjagen oder davonlaufen musste – wobei mir die erste Variante deutlich besser gefiel. So wie jetzt gerade.

Ein diebisches Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Der Vampir gehörte mir, genauso wie sein erbärmlicher Kopf und das Preisgeld. Warum musste er sich so zieren? Ich war eine Gildenjägerin und es war verdammt noch mal mein Job, Monstern wie ihm den Garaus zu machen und dafür den Sold zu kassieren.

Normalerweise hätte mir die wilde Hetzjagd nichts ausgemacht. Ich hätte sie sogar genossen. Doch an diesem Abend war ich gereizt, da, anders als im Pin beschrieben, nicht nur ein Vampir zu erledigen war. Als ich heute Abend das Vampirnest angegriffen hatte, war ich auf drei verdammte Blutsauger gestoßen. So ein Rechenfehler konnte ganz schnell nach hinten losgehen. Jedoch war ich nicht umsonst Jessamine Diaz und meines Erachtens eine der besten Gildenjägerinnen in ganz Nordamerika. Okay, zugegeben – eigentlich eine der besten in Kanada … und auch das noch nicht ganz, aber ich würde es verflucht noch mal werden und mich dann mit einem ganzen Batzen Geld zur Ruhe setzen. Am besten irgendwo in den abgeschiedenen Wäldern Kanadas, zusammen mit meinen Frettchen Billy Joel und Gertrude und natürlich meinen Strickutensilien.

Daher beschleunigte ich ein weiteres Mal das Tempo und spürte dabei ein dumpfes Stechen an meiner rechten Seite, als ich die Luft tief in die Lunge saugte. Vermutlich würde das eine deftige Prellung werden, wenn ich daran zurückdachte, wie mir einer der Vampire vorhin einen Fußtritt gegen die Nieren verpasst hatte, während sein Kumpan mit seinen Fingernägeln ein paar Kratzer auf meiner Wange hinterlassen hatte. Das war schon alles gewesen, bevor ich sie mit meinen Schlitzereien endgültig kaltgemacht hatte. Eine ziemliche Sauerei, aber zielführend.

Ich hatte das Ende der Gasse fast erreicht, als ich ein verdächtiges Geräusch hörte. Das konnte nur von dem Vampir stammen, der vermutlich um eine Ecke huschte und abrupt stehen blieb. Dieses leise Schleifen einer Schuhsohle über den nassen Asphalt war, dank meines außerordentlichen guten Gehörs, für mich unverkennbar.

Wie ein funkelnder Blitz verfing sich das Licht von der Lampe einer Hauswand in der glänzenden, violett aufleuchtenden Klinge meiner Waffe. Im hohen Bogen schwang ich sie in dem Moment nach rechts, als ich meine magische Energie in die Waffe leitete und schlitternd die Ecke erreichte. Kurz sah ich in die erschrockenen Augen des Vampirs, in der nächsten Sekunde purzelte der Kopf von seinen Schultern und rollte mit einem platschenden Geräusch über den Asphalt.

Der nun wirklich tote Körper des Blutsaugers ging zischend in Flammen auf. Die Wartezeit, bis das Gebrutzel vorüber war – was im Normalfall nur wenige Minuten dauerte –, nutzte ich, um mit einem Tuch, das ich für solche Gelegenheiten in der Hosentasche verstaut hatte, seelenruhig das Blut von Olaf zu wischen. Richtig erkannt, ich hatte mein geliebtes Katana tatsächlich nach einem Zeichentrick-Schneemann benannt, der vor fast fünfundvierzig Jahren über die Bildschirme geflimmert war. Mir war wohl nicht mehr zu helfen.

Erst als die Messerklinge im dämmrigen Licht wieder sauber blitzte, packte ich das Tuch weg. Olaf hatte fast keine Verzierungen, bis auf ein kleines Symbol direkt neben dem Griff – ein Unendlichkeitszeichen, mit dem alle meine Waffen gekennzeichnet waren. Letzte magische Energie befand sich noch in Olaf, der in meinen Gedanken zufrieden aufseufzte und das kleine Blutgemetzel lobte: »Gute Arbeit.«

»Danke, deine schnittige Klinge ist aber auch nicht von schlechten Eltern, mein Bester«, entgegnete ich lächelnd.

In meinem Kopf sah ich sein erfreutes Grinsen – Olaf liebte Komplimente genauso sehr wie ich –, bevor meine Magie aus der Waffe sickerte und die Verbindung abbrach.

Ich hatte keine große Macht, konnte gerade einmal ein paar Bann- oder Schutzzauber wirken, aber eine meiner Besonderheiten war, dass ich meine Waffen mit Magie aufladen konnte, wodurch sie stärker, härter – tödlicher wurden. Dadurch konnte ich komischerweise in meinem Kopf mit ihnen kommunizieren, als ob meine magische Energie ihnen für einen Moment eine Persönlichkeit verpasste, die wieder verschwand, sobald der Zauber versiegte.

Erst nachdem fast nichts mehr von dem Vampir übrig war, hob ich seine weißen Beißerchen auf. So praktisch es auch war, dass Vampire, Werwölfe, Geister und vieles mehr nach getaner Arbeit einfach zu Asche verbrannten oder sich in Luft auflösten, war es ein Segen, dass Vampire ihre Zähne zurückließen. Wie sonst sollten wir Gildenjäger einen Beweis vorlegen und den Sold einsacken?

Vor allem Vampire waren eine ziemlich verbreitete Spezies und standen prozentual viel öfter als alle anderen Wesen auf meiner To-do-Liste der zu jagenden Monster. Jede dritte oder vierte Jagd oder Kurzmission galt den zähnefletschenden Biestern, was wohl daran lag, dass manche Menschen immer blöder wurden. Zwar himmelten weibliche Teenies diese falsch dargestellten, glitzernden Vampire nicht mehr derart an wie noch vor einigen Jahrzehnten. Dennoch war die Faszination für diese Wesen ungebrochen und die normalen Menschen zu leichtgläubig, wodurch sie ihnen erbarmungslos in die Falle tappten.

Ich pustete Aschereste von dem Vampirgebiss, das ich zwischen meinen Fingern hielt, und packte es zu den anderen beiden Gebissen in meiner silbernen magischen Fundus-Büchse, die zusätzlich aus Holzfäden und Weihrauchpulver gegossen war. Egal, wie groß meine Beute war oder was ich hineinlegte, die Büchse bot immer genügend Platz, obwohl sie im geschlossenen Zustand gleich klein blieb – wie ein kleines Medikamentendöschen. Eine magische Spezialanfertigung meiner Cousins Jayden und Julian. Die Zwillinge sind eben doch die Besten.

Lächelnd steckte ich die Dose wieder zurück, küsste die Fingerspitzen meines Mittel- und Zeigefingers und zeichnete mit ihnen ein Kreuz über meine Brust, an der Stelle des Herzens. Das war mein Ritual, um mich bei Gott, der Magie oder bei wem auch immer zu bedanken, eine weitere Jagd überlebt zu haben. Jeder Gildenjäger – so ehrlich konnte man sein – war etwas verschroben, schrullig und mit nicht nur einer Handvoll Eigenarten gesegnet. Dazu gehört auch, dass wir wider besseres Wissen abergläubisch an die Jagd herangingen, kleine Rituale inklusive. Entweder davor oder danach.

Meines war dieses – kurz und knackig. Andere zogen zum Kampf die gleiche Unterhose oder dieselben Socken an. Man konnte nur hoffen, sie wurden dazwischen gewaschen. Oder wieder andere beteten währenddessen ständig, was ich komplett bescheuert fand, da es erstens von den übernatürlichen Wesen zu hören war und zweitens total vom Auftrag ablenkte. Wiederum kannte ich Jäger, die vor einer Jagd sieben Mal Salz über ihre linke Schulter warfen oder drei Mal rückwärts einen kleinen Kreis abliefen. Man konnte daher ruhig behaupten, dass wir wohl alle unsere speziellen Verrücktheiten hatten. Was mich nicht groß störte, immerhin gehörte ich ja auch zu diesem wilden Haufen.

Grinsend strich ich meine nachtschwarzen, engen Lederklamotten mit den dunkelblauen Seitenteilen glatt, die aus dem neuen Inn∞Leder bestanden und alle Fremdpartikel abwiesen. Wie immer stammte die innovative Idee von der marktführenden Firma Definity: International Inn∞finity Design & Corporations. Egal, was mit dem Leder in Berührung kam, meine Kleidung blieb so sauber wie an dem Tag, an dem ich sie gekauft hatte. In meinem Fall versuchten hartnäckig immer wieder Blut oder irgendwelche anderen schleimigen Fetzen, die ich nicht näher benennen möchte, meine Sachen zu versauen. Das alles hatte jetzt keine Chance mehr und perlte einfach ab wie Wassertropfen auf einem Lotusblatt. Perfekt.

Normalerweise würde ich direkt zu einer der Gildenbuden gehen, aber heute hatte ich vorher noch etwas anders zu erledigen, das sich nicht aufschieben ließ.

Schnörkel

Geräuschlos schlich ich um das heruntergekommene Haus, in dessen Hintergarten ich vor einer halben Stunde die ersten zwei Vampire erledigt hatte, während der dritte geflohen war. Die Farbe splitterte von der Fassade und war genauso schäbig wie der ungepflegte Rasen oder der verwitterte, schiefe Zaun. Das perfekte Bild einer leer stehenden, rattenverseuchten Bude, die kein normaler, geistig gesunder Mensch freiwillig betreten würde. Ich trat ein.

Aber erst, nachdem ich mich ein weiteres Mal überzeugt hatte, dass kein vierter Vampir direkt hinter der Tür auf mich lauerte.

Wie ich bereits angenommen hatte, war das Innere ganz anders eingerichtet, als von außen zu erwarten war: mit opulenten, gepolsterten Möbeln und einigem Schnickschnack, der von flauschigen Teppichläufern über moderne Kunst an den Wänden bis hin zu prächtigen Vasen und Statuen reichte.

Geschmeidig glitt ich von einem Raum in den nächsten, ohne noch einmal auf einen Blutsauger zu stoßen. So weit, so gut. Wäre da nicht plötzlich das Knarren eines Fußbodens in der unteren Etage zu vernehmen gewesen. Sofort erstarrte ich und schärfte alle meine Sinne. Nicht nur, dass ich extrem schnell laufen konnte, ich hatte ebenso ein gutes Gehör sowie Augen, die auch bei geringstem Licht ausreichend sahen. Schon als Kind hatte sich mein Onkel Héctor köstlich über meine Nachtsicht amüsiert. Besonders dann, wenn er mich mitten in der Nacht in der Vorratskammer vorfand: mit vollgeschlagenem Bauch im Dunkeln hockend, meist noch das Kinn mit Pudding verschmiert und mit klebrige Finger.

Ich schlich weiter zur Quelle des Geräusches und befand mich bereits auf der modrigen Treppe hinunter in den Keller. Oben war im übertragenen Sinn alles sauber gewesen, unten offensichtlich nicht. Meine Hand schloss sich fester um das Heft von Olaf. Obwohl es mitten in der Nacht war und von oben fast kein Licht nach unten drang, sah ich genug, um Umrisse und Gefahren zu erkennen. Außerdem lag deutlich der unverkennbare eiserne Geruch von Blut in der Luft – also alles ganz normal für eine Vampirzuflucht.

Aber nein, halt, da ist es schon wieder. Das typische Knarzen eines Holzbodens – kurz, aber eindeutig.

Als ich die Augen schloss, um mich noch stärker auf mein Gehör zu konzentrieren, konnte ich den Ursprung des Geräusches ausmachen. Irgendjemand oder irgendetwas befand sich hinter dieser Holztür, keine drei Treppenstufen von mir entfernt.

Das dürfte interessant werden, freute ich mich innerlich.

Beziehungsweise wartete der vierfache Sold auf mich, sollte ich richtigliegen und nicht nur mit einem Vampirgebiss, sondern gleich mit vier Schnappzähnen bei der Gilde antanzen. Statt meinem Grinsen oder einem kleinen Siegestanz nachzugeben und die Dollarzeichen in meinen Augen rotieren zu lassen, konzentrierte ich mich wieder auf die Gegenwart. Erst nachdem ich mir sicher war, dass der Verursacher der Geräusche von der Tür wegging, sprang ich kräftig mit einem ausgestreckten Bein auf die Tür zu, die laut nach innen aufkrachte. Wie ein Ninja war ich durch die Tür geflogen, was auch Jet Li nicht besser hinbekommen hätte, als ich schon wieder aus der Hocke hochschoss und mich mit gezogener Waffe kampfbereit im Raum umsah. Dann erspähte ich ihn. In der Ecke des heruntergekommenen, dunklen Kellers stand ein splitterfasernackter Typ, verängstigt wie ein kleines Schulmädchen, und starrte mich aus schreckgeweiteten Augen an.

Oh verdammt, ein Blut- und Sexsklave. Wir Jäger stießen nicht besonders oft auf ihre Sklaven, da Vampire wenig Geduld besaßen und einfach unersättlich waren, wodurch die gefangenen Menschen häufig zu schnell verbluteten. Was ich persönlich als gnädigeres Ende ansah, statt zu einem Blutsklaven zu werden, dessen Hirn in der Gefangenschaft immer mehr in Nebel gehüllt wurde. Durch das Gift ihrer Zähne konnten Vampire die Menschen willig machen und ihrer gesamten Identität berauben. Das dauerte zwar einige Tage oder gar Wochen, doch danach war ihr Gehirn nicht mehr wert als altbackenes Brot und es verschlimmerte sich, je länger sie in Gefangenschaft waren. Es gab nur zwei Möglichkeiten, sie aus diesem Dämmerzustand zu befreien: entweder durch monatelanges Warten, während dem sie aus ihrer geistigen Hölle krochen, was nicht selten eine Einweisung in die Psychiatrie zur Folge hatte. Dort fiel es nicht auf, wenn sie keine zusammenhängenden Sätze bildeten oder sich nicht einmal an den eigenen Namen erinnern konnten. Schuld daran war vor allem das Vampirgift, das sehr lange brauchte, um nicht nur aus ihrem Blutkreislauf, sondern auch aus ihren Gehirnzellen zu verschwinden.

Der zweite Weg war die Aufhebung dieses speziellen geistigen Zaubers, der das Opfer durch den Sex an seinen Blutvampir band. Allerdings konnte nur der Vampir selbst diesen Zauber lösen, was natürlich keiner tat.

Aber genau dieser kleine Sexzauber war auch das Schlupfloch, um die monatelange Tortur des Vampirsklaven außer Kraft zu setzen. Dafür musste man nicht einmal so viel tun. Kurz überlegte ich, für welche Option ich mich entscheiden sollte. Ich hatte schon lange keine Gelegenheit mehr dazu gehabt, ich war sprichwörtlich überreif und der Typ war eigentlich ganz süß – wie alle Vampirsklaven, was kein Wunder war. Sie suchten sich ja nur die hübschesten unserer Gattung aus, um sich an ihnen zu vergehen. Mistkerle!

Schnell riss ich mich wieder am Riemen, schob die Wut beiseite und entspannte meine Finger, die sich ständig verkrampften und zu Fäusten bilden wollten. Aber auch wenn mir der Typ nicht zugesagt würde, hätte ich trotzdem diese Entscheidung getroffen. Hätte ich es nicht selbst tun wollen, konnte ich jederzeit jemanden aus der Jägergilde kontaktieren, um das hier zu erledigen. Doch so passte alles zusammen und ich ergab mich seufzend, aber auch mit einer kleinen Spur Vorfreude meinem Schicksal.

Entschlossen wie ich war, steckte ich mein Katana sicher in die Rückenscheide und verriegelte die Tür hinter mir, was mir ein verängstigtes Wimmern des Sklaven einbrachte, das ich jedoch ignorierte, obwohl sich in mir drinnen kurz alles zusammenzog.

Armer Teufel!

Ich wollte ihm keine Angst machen, aber Vorsicht war besser als Nachsicht, und ich wollte vor etwaigen Besuchern geschützt sein. Ohne zu viel darüber nachzudenken oder eine Show daraus zu machen, zog ich mich mit wenigen Handgriffen aus und ging auf ihn zu, während ich beruhigende Worte flüsterte. Seine Augen waren glasig, als zeigten sie den Nebel, der über ihm und seinem Verstand lag. Zuerst zuckte er zusammen, als ich seine Haut berührte, aber sobald ich den Blutvampir erwähnte und ihm die Lüge erzählte, dies sie der Wunsch seines Herrn, wurde er auf der Stelle entspannter.

Kurz verspürte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich so augenscheinlich log, doch dies war die einzige Möglichkeit, ihn schneller aus seiner Hölle zu befreien, der er sich nicht einmal bewusst war.

Behutsam strich ich ihm durch die dunkelblonden Locken, über seinen Bart und hinunter über seinen schlanken, aber muskulösen Körper. Wenigstens hatten die Vampire ihn genährt und in dieser Hinsicht gut für ihn gesorgt, obwohl ich überall auf seiner Haut Bissspuren ausmachte.

»Komm, bald wird es dir besser gehen«, versprach ich sanft, obgleich er es wohl nicht hörte, und zog ihn hinüber zum Bett, das sich als altes Klappergestell mit verschlissener Matratze herausstellte. Das musste reichen. Wir teilten keinen Kuss, wechselten keine weiteren Worte. Ich legte ihn nur auf den Rücken und krabbelte auf ihn hinauf, nachdem er bereit war. Ein Kondom konnte ich mir seit der Erfindung des HandChips – ein Implantat, das in meiner Hand steckte – zum Glück sparen. Seit wenigen Jahren war es in der westlichen Welt das gängigste Mittel, sich vor Schwangerschaften und allerhand ansteckender Krankheiten zu schützen.

Obwohl es viele der normalen Menschen abstoßend fänden oder nicht verstehen würden, wie man das hier machen konnte, tat ich, was ich für richtig hielt. So verkehrt es vielleicht war, solche Dinge waren schon immer ein Teil meines Lebens, und auch wenn sie mich gleichzeitig abstießen, stöhnte ich unwillkürlich auf, als ich mich auf ihn hinabgleiten ließ und ihn vollständig in mir aufnahm.

Okay, der letzte Sex ist definitiv zu lange her.

Kurz fragte ich mich, wie es wäre, mit jemanden zusammen zu sein, der mir etwas bedeutete, wenn Sex zu mehr wurde als reines Stillen der körperlichen Bedürfnisse. Dabei dachte ich nicht einmal an Liebe, eher an ein klein wenig Vertrautheit bei diesem Akt. Nicht immer diese unbekannten One-Night-Stands oder unpersönliche Treffen mit anderen Gildenjägern, bei denen man nichts voneinander wusste, außer wie man sich an manchen Abenden kontaktieren konnte. Doch das Mehr führte zu nichts, das wusste ich seit Langem. Außer zu Kummer und Verrat.

Keuchend schob ich alle weiteren Gedanken vehement beiseite und gab mich den körperlichen Empfindungen hin, um es mir, und auch dem namenlosen Mann unter mir, so schön wie möglich in einer Situation wie dieser zu machen. Auf der nackten Haut kitzelten meine langen Haare, die ich offen trug und die mir bis zum Ende der Schulterblätter reichten. Ich erhöhte das Tempo, wiegte meine Hüfte, damit er noch tiefer eindringen konnte, was auch seine Atmung beschleunigte und mir ein weiteres Stöhnen entlockte. Sein Hirn war zwar momentan nicht zu gebrauchen, aber da unten, ja – dort funktionierte alles einwandfrei und er war bestens ausgestattet. Sobald ich jedoch mit ihm fertig war, würde sein Verstand ebenfalls wieder klarer werden.

Schnörkel

Nach einer halben Stunde streckte ich mich seufzend und erhob mich vom Bett. Trotz aller negativen Punkte, die man an einer Hand abzählen konnte, war das wirklich gut gewesen und so was von nötig. Noch einmal seufzte ich zufrieden.

Schnell schlüpfte ich in meine Klamotten und band mit flinken Fingern dem Typen, der noch immer selig grinsend auf der Matratze lag, Arme und Beine an das klapprige Bettgestell. Ich konnte ihn unmöglich allein ins nächstgelegene Krankenhaus bringen, dafür war er eindeutig zu schwer, sollte er auf die Idee kommen, mir nicht willenlos zu folgen. Deswegen würde ich auf dem Weg zu meinem nächsten Halt schnell bei meinem Cousin Jayden anrufen, damit er sich um diese Sache hier kümmerte. Durch den Sex, den der arme Teufel gerade gehabt hatte, würde er den Nebel der Vampirmagie in den nächsten Stunden endlich verlieren und hoffentlich vollkommen geistig genesen daraus erwachen – mit null und nada Gedächtnis an die letzten Monate seiner Geiselhaft. Derart verwirrt musste er mindestens Monate, wenn nicht sogar ein Jahr oder länger in den Fängen dieser Monster gewesen sein.

Ein durchschnittlicher Mensch hätte diese Tortur womöglich nicht überlebt und obwohl ich nicht nachprüfen konnte, ob er viel Magie in sich trug – dazu hätte ich sein Blut analysieren müssen –, nahm ich es an. Wahrscheinlich hatte er gerade so viel, um diesen Biestern ins Auge gefallen zu sein, aber nicht genug, um damit richtige Magie zu wirken. Für diese These wollte ich meine Hand nicht ins Feuer legen, daher ging ich lieber auf Nummer sicher.

Um ihn in Zukunft vor übernatürlichen Wesen besser zu schützen, griff ich nach meiner kleinen Injektionsspritze, die ich in einer Seitentasche stets bei mir trug, und rammte sie ihm in den Oberarm. Da sich Vampire, Werwölfe, Faes und andere Wesen nicht nur an den hübschen Leuten vergriffen, sondern an Menschen mit stärkerer magischer Energie, hatte mein Cousin eine Kapsel aus kleinsten Achat-Splittern hergestellt und diese mit einem Schutzzauber belegt, um magieaffinere Menschen zu verhüllen.

Ich trug diese Stein-Kapsel ebenfalls in meinem Oberarm und verbarg dadurch all meine magische Energie vor den Monstern. Denn übernatürliche Wesen kreisten um sie wie Motten ums Licht. Die meisten Menschen mussten sich keine Sorgen darüber machen – sie wurden nie belästigt, da ihre Magie so gering war, dass sie ihnen ihr Leben lang nicht einmal auffiel. Andere, wie dieser Kerl hier vor mir, hatten da weniger Glück.

Zum Abschluss strich ich über die Einstichstelle, drückte ihm einen Kuss auf die Stirn und verabschiedete mich. »Mach’s gut und pass in Zukunft besser auf dich auf.«

Statt einer Antwort riss er erschrocken die Augen auf, da ihm wohl bewusst wurde, gleich wieder allein zu sein. An der Tür drehte ich mich nochmal um. »Keine Angst. Alles wird gut. Bald. Ein Freund kommt vorbei und wird sich um dich kümmern.«

Dann schlüpfte ich aus der Tür in die noch immer dunkle Nacht hinaus.

Danksagung

Kaum zu glauben, aber nun hat auch meine erste Urban-Fantasygeschichte für Erwachsene das Licht der Bücherwelt erblickt und ich bin unheimlich glücklich darüber, da es ein kleines Herzensprojekt von mir war. Wie immer kann ich die Lorbeeren dafür nicht allein ernten, sondern teile sie mit ganz lieben, besonderen Menschen! Allen voran ein herzliches Dankeschön an meinen Mann – für seine Geduld und sein Verständnis, obwohl es nicht immer leicht mit mir und meinem Geschreibe ist – sowie an meine Familie und Freunde.

An dieser Stelle möchte ich wie immer Anke Frey danken, meiner Testleserin der ersten, verworrenen Rohfassung.

Ein ebenso dickes Dankeschön und eine feste Umarmung für eure Mithilfe, Begeisterung und Liebe zum Buch geht an meine Beta-Leserinnen: Laura Evers, Saskia Flindt, Katharina Karlo, Melanie Schröder, Julia Rieger und Sine Kay, die bei der Fehlerkorrektur grandiose Arbeit geleistet haben.

Ebenfalls ein großes Danke an den Drachenmond Verlag, für das Vertrauen und die Begeisterung der lieben Drachenchefin Astrid Behrendt, die mir diese Chance gegeben hat, ein etwas anderes Werk präsentieren zu dürfen. Ein Dankeschön an die Lektorin Marion Lembke und die Korrektorin Michaela Retetzki für alles, was wir hier in der Geschichte gemeinsam erarbeitet haben. Und jaaa – auch eine dicke Umarmung und Danke an Alexander Kopainski für das mega geile Cover, das einfach nur ein Traum ist und so perfekt als Gewand zur Geschichte passt, dass ich es noch immer gar nicht glauben kann. Merci, ich verneige mich vor deinem künstlerischen Talent.

Ebenso ein fettes Dankeschön und Wink in die Runde an alle Blogger und Facebook-User, Wattpad-Leser oder Autorenkollegen dort draußen, die mir mit Rat und Tat zur Seite stehen oder die mich mit ihrer Hilfe und Feedback unterstützen – so sehr, dass ich es manchmal gar nicht glauben kann. Ihr wisst gar nicht, wie viel mir das bedeutet, mich motiviert und mir Mut macht! <3

Da die Danksagung immer länger wird ^^, hier ein allgemeines Danke in die Runde: an die Einhörner-reitende-Queen Tanja Voosen, die süße Mirjam H. Hüberli, die coole Carina Müller, sowie Katharina V. Haderer, Julia Adrian, Felicitas Brandt, Jennifer Wolf, Maria M. Lacroix, Marie Graßhoff, Ava Reed, Patricia Rabs, Amelie Murmann, Susanne Förster, Nina MacKay, Martina Fussel, Laura Labas, Jessica Bloom, Alexandra Fuchs und, und, und. Es gibt so viele tolle Menschen und Autoren und ich kann hier gar nicht alle aufzählen! Fühlt euch trotzdem fest von mir gedrückt.

Zu guter Letzt danke ich auch dir, meinem Leser, dass du an meiner Geschichte teilgenommen und dich hoffentlich mitgenommen gefühlt hast. In diesem Sinne: Kämpft für das, was euch wichtig ist, und glaubt an das Übernatürliche. Nicht alles im Leben muss erklärbar sein. ^^

Für alle Tagträumer, Wunschdenker, Drachenreiter und Monsterjäger, die sich mit ihren Romanhelden auf spannende Abenteuer begeben und sich von mutigen Magiern, bunten Einhörnern und schillerndem Glitzerstaub verzaubern lassen möchten.

Hört nie auf, an euren Träumen festzuhalten, egal wie phantastisch sie auch erscheinen mögen.

Die Seelenspringerin

Sandra Florean
Die Seelenspringerin
Softcover: ISBN 978-3-95991-123-8, EUR 12,90
eBook: ISBN 978-3-95991-326-3, EUR 3,99

Tess verfügt über die unkontrollierbare Gabe, in das Bewusstsein übernatürlicher Wesen zu springen. Ein Albtraum für die junge Frau, da sie dabei Zeuge von Gewaltverbrechen wird, die sie jedoch nie verhindern kann. Mit einem Mal häufen sich die Sprünge und Tess ahnt, dass das kein Zufall sein kann. Sie vertraut sich dem Polizisten Jim an und hilft ihm schließlich bei der Aufklärung der Morde. Dadurch begibt sie sich so tief in die Welt der Übernatürlichen, dass sogar der Vampirgebieter Octavian auf sie und ihre Kräfte aufmerksam wird …

No heartbeat before coffee

Maria M. Lacroix
No heartbeat before coffee
Softcover: ISBN 978-3-95991-251-8, EUR 12,00
eBook: ISBN 978-3-95991-249-5, EUR 3,99

Während eines Einsatzes gegen einen dunklen Hexenclan wird Diana, kampferprobte Spezialistin des Instituts für »Research and Identification of Paranormal Activities«, mit einem tödlichen Fluch belegt. Rettung aus ihrer aussichtslosen Lage erhält sie ausgerechnet von einem Werwolf. Obwohl auch er in ihrer Weltsicht zum Feind zählt, bleibt ihr nichts anderes übrig, als Jamie zu vertrauen. Und als wäre ihr Leben nicht verzwickt genug, zieht er sie stärker an, als sie sich selbst eingestehen will. Gleichzeitig wird Seattle von einer brutalen Mordserie erschüttert, sodass Diana ihre persönlichen Probleme in den Hintergrund stellt, um sich voll und ganz der Aufklärung des Falles widmen zu können. Doch ihre Kollegen dürfen weder von ihren Gefühlen für Jamie erfahren noch, welchen Preis sie für ihr Überleben gezahlt hat …

5.

Bleibe immer in deiner Rolle

Einige Zeit später war der Kanister in meinem Zimmer versteckt, mein Fläschchen in meiner Jackentasche hatte ich bis obenhin befüllt und ich befand mich am richtigen Ort, um mit meiner Recherche zu beginnen: der hiesigen Bar. Dabei hatte ich keinen schicken Club gewählt, den es sogar in diesem verschlafenen Nest im Zentrum der Stadt gab, sondern eine ältere Bar, die hauptsächlich Bier, Whisky und Schnaps ausschenkte, mit einem Klientel, das entweder schon betrunken war oder auf dem besten Weg dorthin. Perfekt!

An der Theke bestellte ich mir zunächst einen Whisky, den ich mit einem Zug hinunterschüttete. Die Flüssigkeit brannte angenehm in meiner Kehle und gab mir das Gefühl, richtig lebendig zu sein. Als das Brennen verschwand, verlor sich das leuchtende Aufleben und schrumpfte in sich zusammen. Mit dem Oberkörper lehnte ich mich an den Tresen und holte aus meiner linken Hosentasche einen kleinen Block und einen Stift hervor, die ich für diese Gelegenheiten mitgenommen hatte. Zur Unterstreichung meiner Rolle hatte ich mir eine schwarz umrandete Brille aufgesetzt und strich mir nun ein paar lose Haarsträhnen aus dem Gesicht, die meinem hohen Pferdeschwanz entschlüpft waren.

Sobald der Barmann im mittleren Alter auf seiner nächsten Runde an mir vorbeiging, hob ich schnell meinen Arm und rief ihn dadurch zu mir. »Entschuldigen Sie bitte, Sir. Würden Sie mir ein paar Fragen beantworten? Zu den verschwundenen Kindern aus der Gegend?«

Skeptisch musterten mich seine braunen Augen von oben bis unten und wurden immer enger, je mehr Details er dabei erfasste. Ich hatte mir extra eine neue, aber gleichzeitig zerrissene Jeans, ein Shirt mit Aufschrift einer Uni und eine leichte Jacke übergeworfen – ein Bild der Unschuld. Doch davon wollte der Barkeeper nichts wissen und schnauzte mich an: »Sind Sie von der verschissenen Presse?«

Mist! Keine Unizeitung gewünscht. Neue Rolle, aber zackig!

»Nein, natürlich nicht! Wo denken Sie denn hin?«, gab ich in meinem besten überraschten Tonfall zurück und verzog angewidert das Gesicht, als hätte ich in eine Zitrone gebissen. Ratternd bewegten sich die Zahnräder in meinem Gehirn und beinahe hätte ich wie Wicki erfreut den Zeigefinger in die Luft gestreckt, als mir ein Geistesblitz kam. »Ich studiere an der Uni Kriminalpsychologie. Momentan gehen wir ungelöste Fälle mit verschwundenen Opfern durch und müssen dazu eine Abhandlung schreiben. Eine verdammt lange, wie ich erwähnen möchte. Daher dachte ich, ich könnte hier über den aktuellen Fall ein paar Details erfahren. Ich komme von auswärts, aber meine Großmutter wohnt in der Nähe.«

Ein weiteres Mal musste die besagte Großmutter herhalten und bei meinen ganzen Lügen lag ein kleiner Funke Wahrheit darin – immerhin kam ich tatsächlich von auswärts. Theoretisch hätte ich mich als Cop ausgeben können, um an ein paar Informationen zu gelangen. Doch meist waren die Menschen in der Nähe von Ordnungshütern steif und verschreckt, wollten nichts tun oder zu viel sagen, was sie selbst irgendwie in ein falsches Licht bringen konnte. Darauf war ich nicht aus. Ich wollte die ungeschönte Wahrheit, die schmutzigen Geschichten, die man sich hinter vorgehaltener Hand erzählte, wenn eben kein Offizieller anwesend war.

Unbehaglich, doch nicht länger unfreundlich kratzte er sich am Ellbogen und rang sichtlich mit sich. Als ich ihm noch mein süßestes Lächeln schenkte und säuselte: »Bitte, Sir. Sie würden mir damit wirklich zu einer guten Note verhelfen, Sir«, hatte ich ihn am Haken.

»Na schön, was möchten Sie wissen?«

Schnörkel

Gut gelaunt schlenderte ich nach zwei weiteren Gläsern Whisky, einer vollgekritzelten Blockseite, die bloß Show gewesen war, und neuen Informationen Richtung Tür. Musik wummerte durch den rauchgetränkten Raum, der nach Schweiß und Hochprozentigem stank.

Der Barmann hatte mir nicht viel über die aktuellen Geschehnisse erzählen können. Nur dass die ersten Kinder vor drei Wochen verschwunden waren.

Wenig später hatten sich jedoch zwei ältere Männer zu mir an die Bar gesetzt, deren Englisch zwar etwas schlechter, mit starkem Akzent getränkt, aber immer noch gut verständlich gewesen war. Diese zwei wussten, wie man Geschichten erzählte, damit man überall am Körper Gänsehaut bekam. Am liebsten hätte ich mir eine riesige Schüssel Popcorn auf den Schoß gestellt und mich bequem auf eine Couch gelümmelt, während ich ihren Erzählungen von Geschehnissen lauschte, die vor Jahren in der Stadt passiert waren und alle Bewohner aufgeschreckt hatten.

Besonders interessant fand ich das Detail, dass ein ähnliches Phänomen schon einmal, vor ungefähr fünfundzwanzig Jahren, in der Nachbarstadt vorgekommen war. Damals hatte man keinen Täter aufgespürt und auch die Kinder wurden nie gefunden. Insgesamt waren dreißig Kinder verschwunden – vermutlich allesamt tot. Die Opfer damals waren zwischen sieben und zwölf Jahre alt gewesen. Genau wie heute, nur dass bisher erst zehn Kinder verschwunden waren. Doch ich rechnete fest damit, dass sich diese Zahl noch deutlich erhöhen würde, wenn ich nicht bald in die Gänge kam.

Während der Barkeeper gerade einen anderen Gast bediente, hatte sich einer der Männer mit gesenkter Stimme zu mir gebeugt. Sein stechender Atem roch nach einer Mischung aus Bier und Zigarren. Yummy. Obwohl der Drang groß war, verkniff ich es mir, die Nase zu kräuseln.

»Weißt du, Mäuschen. Was damals zusätzlich eine Panik ausgelöst hat, waren nicht nur die verschwundenen Kinder. Niemand wusste, was aus ihnen geworden war, vielleicht hatte man sie verschleppt oder sie sind verkauft worden. Wir hatten keine Ahnung. Aber eines Nachts kam es zu einem Mord, der keinen Zweifel daran ließ, dass jemand Blut sehen wollte. Etwas außerhalb der Stadt, auf einer Farm, wurde beinahe eine ganze Familie ausgerottet – die gesamte Linie. Zwei Kinder der Familie waren spurlos verschwunden, die Eltern brutal abgeschlachtet. Ihre Körperteile waren im ganzen Haus verstreut. Furchtbarer Anblick, sag ich dir«, erzählte er leise und ich bemerkte nach all den Jahren noch immer den Schock dieser Gräuel in seiner Stimme.

Mit einer schnellen Bewegung hatte der ältere Mann sich noch einen Schnaps hinter die Binde gekippt und schließlich weitererzählt. »Ich stand damals mitten im Leben, hatte selbst schon einiges erlebt. Aber das … diese Nacht werde ich nie vergessen. Nur eines der Kinder hat überlebt, ein schmächtiger dreijähriger Junge, der wimmernd und mit Blut beschmiert in einem Kleiderschrank gekauert hat, als wir gekommen sind. Der Täter muss ihn einfach ignoriert haben, weil er zu klein war oder was auch immer. Vielleicht hat er ihn auch übersehen, wer weiß das schon. Aber die Geschwister waren weg, die Eltern tot und er der einzige Überlebende dieses grausamen Blutbades. Hätten nie gedacht, dass mal etwas Anständiges aus ihm wird. Dachte, der würde einen Knacks davon abbekommen oder durchdrehen. Na ja, du weißt schon. Hätte mich nicht gewundert. So was hört man ja immer wieder in den Nachrichten.« Dabei hatte er mit dem Zeigefinger an seiner Schläfe Kreise gezeichnet, um seine Worte zu unterstreichen.

Interessant. Es gab also einen Überlebenden von damals, jemand, der womöglich wusste, wie diese Bestie aussah, und mir helfen konnte herauszufinden, mit welchem Wesen ich es zu tun haben könnte. Vielleicht bestand tatsächlich eine Verbindung zu damals, wenngleich es weit hergeholt war, doch ich musste jeder Spur nachgehen.

Ich hatte mich daraufhin zusammenreißen müssen, um nicht ungeduldig mit den Beinen zu wippen. »Ach, es gibt einen Überlebenden? Glauben Sie denn, dass es heute der gleiche Täter ist? Und wo finde ich den Jungen von damals? Lebt er noch hier?«

Nun hatte sich doch eine Spur Aufregung in meine Stimme gemischt. Mein Blick war umhergewandert und blieb kurz an einem Tisch mit drei Typen hängen, die alle ungefähr im richtigen Alter waren. Einer mit einer schiefen Nase, als wäre sie einmal gebrochen gewesen, und dunklen Haaren. Die zwei anderen hatten etwas hellere Haare, ebenfalls mit Schrammen im Gesicht oder auf den Händen, die von einem nicht ganz leichten Leben kündeten. Überall potentielle Männer, die dieser Junge von damals sein konnten. Entweder musste ich herausfinden, wer es war, um ihm Fragen stellen zu können, oder den Täter ohne Hilfe zu fassen bekommen – je nachdem, was vorher eintrat. Dennoch würde ich es im Hinterkopf behalten und mich umhören.

Der ältere Mann neben mir an der Bar hatte gerade angesetzt, auf meine Fragen zu antworten: »Ja, das glaube ich. Ich bin mir sogar ziemlich sicher, die haben etwas miteinander zu tun. Und der Junge ist …«, doch er war nicht bis zum Ende seines Satzes gekommen, da uns der Barkeeper plötzlich gegenüberstand und den alten Mann finster anstarrte. »Hör auf mit dem Scheiß, Borek, und erzähl hier keine Schauergeschichten! Das alles nimmt uns schon genug mit und es ist unmöglich, dass es derselbe Täter ist. Der wäre doch heute mindestens so ein alter Haudegen wie du. Außerdem solltest du keinen schlechten Tratsch verbreiten. So was machen wir hier in unserer Stadt nicht!«

Sein finsterer Blick war anschließend zu mir geglitten und wieder weicher geworden. »Lady, ich denke, Sie haben genug Stoff für eine positive Arbeit. Damit sollten Sie es gut sein lassen.«

Nach einem Winken in die Runde war ich aufgestanden und hatte mich mit den Worten: »Natürlich. Danke für Ihre Hilfe. Wirklich, Sie haben mir meinen Hintern gerettet« verabschiedet – mit dem Wissen, dass die Männer mir genau dorthin starrten.

Schnörkel

Angenehme kalte Luft schlug mir entgegen und vertrieb die anhaftenden Gerüche der Bar, der Männer und der schaurigen Geschichten, denen ich sowieso nie würde entfliehen können. Ich wollte mich gerade von der Bar entfernen, als ich links hinter mir ein verdächtiges Geräusch hörte. Ein unterdrücktes Wimmern, das mir eiskalt den Rücken hinunterkroch.

Sofort sprangen alle meine Warnleuchten auf Rot und Adrenalin schoss durch meine Venen. Wie immer, wenn die Jagd bevorstand, fühlte ich eine gewisse Euphorie und Lebendigkeit, die ich nicht bestreiten konnte und die wahrscheinlich Teil eines Jägers waren.

Vorsichtig schlich ich weiter und spähte um die Ecke des Gebäudes. Neben einem alten Truck mit abblätternder grüner Lackierung, an einem dicken Baumstamm gedrängt, stand eine hübsche Blondine. Zumindest wäre sie hübsch gewesen, wenn sie kein blaues Auge und von Tränen verschmiertes Mascara gehabt hätte.

Ein bulliger Typ mit langen, verfilzten Haaren hatte ihr mit einer Hand ein Stück Stoff in den Mund gestopft, um jeglichen Laut zu ersticken. Mit der anderen Hand hielt er in einem eisernen Griff ihre schmalen Hände über den Kopf an den Baum gepresst, während sein fast ebenso stämmiger Kumpel seelenruhig mit einer Hand ihre Brust begrabschte und die andere bereits ausgiebig den Bereich unter ihrem Rock erforschte.

Heißer Zorn schoss durch mich hindurch und obwohl ich das nicht tun sollte, um keine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, rannte ich so schnell und geräuschlos los, wie ich konnte. Gut, dass ich fast keine Waffen dabeihatte, außer mein Hüftmesser Sid, das sich heute jedoch in einer versteckten Scheide in meinem Stiefel befand. Ich ließ die Waffe, wo sie war, sonst hätte ich den beiden Typen damit einige wichtige Teile abgeschnitten, ohne auch nur an die weiteren Konsequenzen zu denken. Sogar mit bloßen Händen hätte ich sie töten können, doch das wollte ich nicht. Nein, ich hatte vor, ihnen Schmerzen zufügen, sie richtig schön und langsam zu bearbeiten. Was mit meinen kleinen, aber schnellen Fäusten und Beinkicks um einiges besser vonstattenging.

Bevor sie mich kommen sahen, schlug ich bereits mit der Faust gegen den Hinterkopf des bulligen Kerls, der mit dem Gesicht voran gegen die harte Baumrinde knallte, und sprang gleichzeitig seitlich in die Hinterbeine des ekligen Grabschers. Dabei erwischte ich sein Knie und es gab ein angenehmes Knacksen von sich. Grinsend sah ich auf den Wicht hinunter, der winselnd auf Tschechisch vor sich hin fluchte und mir wahrscheinlich ein paar hübsche Kosewörter entgegenschleuderte. Noch ein Tritt in den Rücken auf seine Nieren und ein Ellbogenschlag ins Gesicht und der Kerl erschlaffte endgültig.

Im selben Moment packte mich eine fleischige Pranke von hinten. Ich wirbelte lächelnd zu dem anderen Kerl herum, dabei bildete ich eine Faust und nutzte die Drehbewegung, um doppelte Kraft in meinen Schlag auf seine Schläfe zu legen. Als ich herumwirbelte und der Person mir gegenüber eine verpasste, stellte ich jedoch fest, dass es gar kein Typ mit ekligen langen Haaren war, sondern eine Frau. Nun ja, eine sehr maskuline Frau mit einer herben Visage und auffällig großgewachsener, breiter Statur. Aus ihrer Nase tropfte Blut von ihrer vorigen Begegnung mit dem Baumstamm auf ihre grimmig verzogenen, fleischigen Lippen. Aus der Nähe betrachtet hatte sie Ähnlichkeiten mit dem ausgeknockten Typen am Boden, war aber älter und deutlich stärker – vermutlich seine große Schwester. Herzallerliebst; ein Familienausflug. Am liebsten hätte ich gekotzt.

Nichtdestotrotz war sie eine Frau, obwohl sie sich nicht so kleidete oder aussah, als würde sie Wert auf ihre weibliche Seite legen. Viel zu gerne hätte ich den Kopf geschüttelt, es ausgeblendet und wütend gebrüllt. Mir ging es nicht in den Schädel, wie eine Frau einer anderen Frau so etwas antun konnte – dabeistehen und sogar helfen, wie diese auf die schändlichste Weise missbraucht wurde. Siedende Wut flammte in mir hoch. Kurz meinte ich sogar, besser hören, sehen und riechen zu können und mein Sichtfeld flackerte einmal rot auf, wobei mir klar war, dass es sich um Einbildung handelte. Der Zorn war fast wie ein brennender Geschmack auf meiner Zunge, er schwappte über mich, schwemmte mich fort, wie ich es bisher nur selten erlebt hatte, während das dazugehörige Adrenalin meine Sinne schärfte. Nun war ich nur noch ein Wesen aus Rache, Blutdurst und Vergeltung.

Bevor mein Verstand die Bewegung registrierte, donnerte meine geschlossene Hand erneut nach vorne, direkt auf die linke Schläfe der Frau. Sie taumelte zum Glück nur, blinzelte einen unsichtbaren Nebel weg, blieb aber stehen. Sehr schön! Somit konnte ich sie ein wenig länger bearbeiten.

Meine Hände packten ihre Schultern und mein Knie schoss blitzartig zwischen ihre Beine. Auch wenn sie keinen Schwanz hatte, das musste wehgetan haben. Noch während sie sich keuchend nach vorne beugte und ihr Gesicht vor Schmerzen rot anlief, erlöste ich sie von ihren Qualen, indem ich an ihr Kinn zwei nette Haken platzierte und mit dem Bein einen Roundkick vollführte, der sie mit dem Rücken auf den Boden krachen ließ.

Ich hatte noch nicht genug, mein wütender Rausch war noch nicht besänftigt. Zwar hatte ich keine Ahnung, woher ich meine Kraft nahm, aber ich drehte die fast zwei Meter große, muskelbepackte Frau auf den Bauch. Dann stopfte ich ihr die eigene Hand in den Mund, während ich mit meinem Fuß ihre andere Hand am Boden fixierte – jene Hand, mit der sie vorhin die unschuldige Frau festgehalten hatte. Langsam bog ich nacheinander alle fünf Finger nach hinten, bis ein befriedigendes Schnappen zu hören war. Wie Musik!

Ihre Schreie, die sie ausstieß, während ich ihr jeden Finger einzeln brach, wurden durch ihre eigene Faust im Mund gedämpft. Als ich fertig war, zerfloss mein rotes Sichtfeld aus Wut und klare Gedanken drangen zurück an die Oberfläche. Daher verpasste ich ihr abschließend einen Schlag in den Nacken, der sie endgültig ohnmächtig machte und von den Schmerzen befreite.

Während ich schnell atmend über ihr stand, hob ich den Blick zur blonden Frau, die wie erstarrt am Baum lehnte und mit geweiteten Augen die Szene vor sich betrachtete. Hoffentlich war sie in einem kleinen Schockzustand und würde sich morgen nicht mehr so genau an das alles hier und an mich erinnern.

Sofort sprangen mir ihre blutigen Lippen ins Auge, sowie ein dunkler Fleck, der sich bereits auf ihrem zarten Kiefer abzeichnete. Ein weiteres Mal wallte die Wut in mir hoch. Manchmal waren nicht die vielen unterschiedlichen Kreaturen der Nacht, sondern wir Menschen die wirklichen Monster.

Mit einem aufmunternden Lächeln zwinkerte ich ihr zu und verpasste der Frau unter mir noch schnell einen Faustschlag als Abschiedsgeschenk. Dann wich ich von ihr zurück und trat dem Kerl in die Weichteile. Obwohl ich sie nicht abmurksen konnte für das, was sie beinahe der Frau oder womöglich schon anderen angetan hatten, wollte ich wenigstens, dass sie die nächsten Tage ihren ganzen Körper spürten. Und zwar schmerzhaft.

Langsam ging ich so harmlos wie ich konnte auf die Frau zu und fragte sie sachte: »Alles okay mit dir? Kannst du … willst du dich … ähm, anziehen, bevor ich Hilfe hole?«

Diese Frage riss sie aus ihrer Lethargie und sie nickte schnell. Erst danach schaffte sie es, ihre helle Bluse und den hochgeschobenen Rock zurechtzuzupfen und alle Stellen, die man nicht sehen sollte, wieder zu bedecken. Prüfend ließ ich einen Blick über die Frau gleiten, bevor ich mich dazu entschloss, schnell in die Bar zu laufen, damit dort jemand die Polizei verständigte. Zu dem Zeitpunkt, wenn diese eintraf, wollte ich nur noch eine Staubwolke, eine ferne Erinnerung sein.

»Es ist nun alles gut. Bleib ganz kurz hier stehen«, sagte ich beruhigend und berührte sie vorsichtig am Ellbogen, um ihre Aufmerksamkeit auf mich und weg von den bewusstlosen, fiesen Säcken am Boden zu lenken. »Dir wird nichts mehr passieren. Du bist in Sicherheit. Ich hole schnell Hilfe und dann kommt die Polizei und sperrt diese Monster ein. Eine Minute.«

Damit drehte ich mich um und wollte gerade zur Bar flitzen, als sie mir ein »Danke« nachrief.

Ich beschleunigte meinen Lauf, um sie so kurz wie möglich allein zu lassen und mir einen abgehetzten Ausdruck ins Gesicht zu zeichnen. Dennoch musste ich bei dem Keuchen nachhelfen, damit es echt wirkte, als ich die Bartür aufriss und in meinem besten verschreckten Tonfall in den Raum rief: »Hilfe! Oh mein Gott, schnell! Bitte helft mir! Dort hinter der Bar wurde eine Frau angegriffen. Irgendwer soll die Polizei rufen!«

Wie erwartet, folgten mir auf dem Fuß gleich fünf harte Kerle und einer telefonierte bereits, als ich ihnen die Richtung wies. Mit dem integrierten Chip in meiner Hand hätte ich selbst die örtlichen Ordnungshüter rufen können, aber ich wollte nicht, dass mein Name oder meine Chipnummer bekannt wurden.

Im Hintergrund zu bleiben, war in diesem Beruf am wichtigsten. Daher verschwand ich, bevor einer der Männer sich nach mir umdrehte. Flink drückte ich mich im Freien zwischen einige Gleiter und Bikes hindurch. Die umstehenden Bäume lieferten zusätzlich genügend dunkle Stellen, um in ihren Schatten unterzutauchen und mit der Nacht zu verschmelzen.

Dennoch konnte ich nicht umhin, einen letzten Blick auf die Frau zu werfen, bei der die Männer beinahe angelangt waren. Statt weiterhin in ihrer vorigen Position zu verweilen, stand sie über dem ohnmächtigen Mann und trat auf ihn ein – ebenfalls in seine Kronjuwelen, die nach heute Nacht wohl nur noch Matsch waren. Braves Mädchen!

In diesem Moment kamen die Männer zu ihr, redeten mit der Frau und gestikulieren wild, während sich ein anderer mit den Worten »Wo ist die andere hin?« fragend umdrehte und mit seinem Blick die Umgebung absuchte. Was mein Stichwort war, endgültig zu verschwinden.

Ohne ein Geräusch zu verursachen, eilte ich durch das Dickicht, während die dekorative Brille in meiner Tasche verschwand und ich die langen Haare aus dem strengen Zopf befreite. Erst danach lief ich richtig los, genoss das Brennen in den Lungen, die Freiheit und den Stolz, der mit dem Glück einherging, einer Unschuldigen geholfen zu haben. Dieser Rausch der Hochgefühle war noch viel mehr wert als jegliches Geld oder Punkte, die die Jägergilde verteilen konnte.

Schnörkel

Meine dicke, schwarze Brille musste auch am nächsten Morgen für den Einsatz herhalten. Dieses Mal hatte ich mir meine türkisen, blaugesträhnten Haare zu einem strengen Dutt hochfrisiert. Außerdem trug ich Schminke und einen roten Lippenstift, der alle Blicke auf meinen Mund ziehen sollte, weg von meinen Fingerknöcheln.

Nach meinem Lauf war ich so ausgepowert gewesen, dass ich vor dem Schlafengehen vergessen hatte, sie mit einer speziellen Salbe einzuschmieren, um die Heilung zu beschleunigen. Deswegen konnte man nach wie vor die rötlichen Stellen an meiner Hand als Beweis meines gestrigen Zusammenstoßes mit den Fieslingen sehen. Ich hatte keine Lust, damit in Verbindung gebracht zu werden, wenngleich mir auf die Schnelle sicherlich eine gute Ausrede einfallen würde.