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 Stille Nacht 

»Und? Was machst du so an Silvester?«

Mona spuckte einen Mund voll Zahnpasta ins Waschbecken und drehte sich zu ihrem Mann Albert um, der gerade seine Hose herunterfallen ließ. Sie betrachtete ihn in seinen blau-weiß gestreiften Boxershorts. Zu Nikolaus hatte sie ihm eine mit tanzenden Rentieren geschenkt. Schade, dass er die nicht angezogen hatte. Selbstironie war nie eine seiner Stärken gewesen.

»Du meinst wohl, was wir an Silvester machen?«

»Nein, ich wollte wissen, was deine Silvesterpläne sind«, entgegnete Albert, während er sich aufs Bett setzte, um die Socken auszuziehen. Ihr Blick fiel kurz auf die tiefe Kuhle, die er dabei erzeugte.

Mona warf ihm einen verständnislosen Blick zu und fuhr fort, ihre Zähne zu putzen.

»Ich hab schon was vor.«

»Wie bitte?« Sie musste sich verhört haben. Kein Wunder, waren ja nur ein paar Millimeter von den Weisheitszähnen bis zum Innenohr. Jetzt legte sie die Zahnbürste doch lieber weg, saugte hastig einen großen Schluck Wasser aus ihrer Handfläche, gurgelte einmal kurz, spuckte hörbar aus und wischte sich flüchtig mit einem Handtuch über den Mund. Dann ging sie ebenfalls rüber ins Schlafzimmer.

Noch vor ein paar Monaten hatte er, wenn sie so in roter Spitzenunterwäsche vor ihm gestanden hatte, seine starken Arme um ihre schlanke Taille gelegt, seine Lippen sanft auf ihre ein wenig zu knöchernen Schultern gepresst und federleichte Küsse auf ihrem Hals platziert. Sie hatte ihren Hals ganz lang gestreckt, um ihm möglichst viel Kussfläche zu bieten und den Genuss so lang wie möglich auszudehnen. Irgendwann hätte er sich mit ihr im Arm langsam auf das Bett zurückfallen lassen. Sie hätte sich in seiner Umarmung und auf seinem kräftigen Körper wohlig und geborgen gefühlt. Und dann hätten sie sich wahrscheinlich geliebt. Routiniert, aber irgendwie schön.

Doch jetzt sah er auf den Boden zu dem Haufen, den er dort aus seiner Kleidung aufgetürmt hatte, und sagte: »Paul hat eine Hütte in der Schweiz gemietet und mich gefragt, ob ich mitkomme.«

»Paul?« Sie ließ den Haufen liegen, wo er war. Ihr Ton klang gereizt. Kein Wunder. Dieser Heiligabend war eher eine beunruhigend stille Nacht gewesen. Ohne Alexander.

Es schien ihr eine Ewigkeit her zu sein, die Zeit der riesigen staunenden Kinderleuchteaugen, in denen sich die bunten Lichter und Glaskugeln eines Christbaumes spiegelten und die einem aus einem pummeligen, in einem unordentlichen Geschenkpapierfetzenhaufen thronenden, Kekse mümmelnden Kleinjungenkörper entgegenstrahlten. Ihr Mann unweit davon am Boden kniend, wieder zum Kind geworden, mit äußerster Konzentration ein neues Playmobil-Ungetüm zusammenbauend – irgendwas Großes, was der Kleine noch nicht hatte –, das nun wochenlang den Boden des Kinderzimmers flächendeckend einnehmen würde.

Das erste Weihnachten ohne ihren einzigen Sohn, der inzwischen sechzehn, eins fünfundachtzig und für ein ganzes langes Jahr bei einer Gastfamilie in Neuseeland war, war Mona plötzlich hohl und sinnlos vorgekommen.

Eigentlich nur aus Gewohnheit hatte Mona wie immer all ihre heiß geliebten Weihnachtsrituale durchgezogen: konditoreiwürdige Plätzchen gebacken, einen Teil in hübsch verzierten Zellophanbeutelchen verschenkt und den Rest in Sammeldosen bis Heiligabend aufbewahrt, damit sie sie bis dahin nicht schon über hatten. Einen Baum geschmückt, ein köstliches Mahl zubereitet und auf Weihnachtsgeschirr serviert. Und natürlich hatten Albert und sie sich auch Geschenke überreicht. Doch all das kam ihr vor wie ein Pflichtprogramm, das die beiden absolvierten. Die anschließende Skype-Unterhaltung mit Alexander hatte fast wie eine Befreiung von dem beklemmenden Smalltalk bei Tisch gewirkt, der genauso auch unter Fremden hätte stattfinden können. Schauspieltalent musste bei ihnen in der Familie liegen, denn alle drei hatten so getan, als wäre alles perfekt. Diesseits und jenseits des Ozeans.

Mona stemmte angriffslustig die Hände in die Hüften.

Na typisch Paul. Das war sein komischer Bergfexfreund, der bei der ersten Schneeflocke die Skier anschnallte. Alberts Jugendfreund, der nie geheiratet hatte und schon ihre ganze lange Ehe über bei ihnen auf der Bettkante saß.

»Ich habe zugesagt.«

Da saß er auch schon wieder. Mitten zwischen ihnen.

»Wie?« Mona war nicht mehr gereizt, sondern einfach fassungslos. »Ohne mich zu fragen?«

Sie ließ sich neben Albert auf die Bettkante fallen. Als könnte er ihre Nähe nicht ertragen, sprang er auf und verschwand im Bad.

»Ich finde, wir brauchen beide mal ein bisschen Abstand«, hörte sie ihn sagen. Das war genau das, von dem sie in letzter Zeit viel zu viel hatten, fand Mona. Abstand. Sekündlich wurde der größer. Gefühlstaub sah sie ihm zu, wie er herauskam und den Gürtel seines Bademantels festzurrte. Er sah aus wie einer dieser Geschäftsleute, die in den Mafiafilmen immer mit in der Sauna sitzen. Diese gepflegten, ein bisschen zu stattlichen, durchtrainierten und aalglatten Typen, die zwar nie die Chefs sind, sich aber um alle krummen Geschäfte kümmern – Zahlen, Konten, Immobilien. Ohne sie anzusehen, verließ Albert das Schlafzimmer. Mona sprang auf und stürmte ihm hinterher.

»Das fällt dir ausgerechnet an Heiligabend ein?«

Albert schwieg, was sie in zwei Sekunden auf hundertachtzig brachte – seit zwanzig Jahren war das ein eingefahrenes Spiel von ihnen, wie ein Neunkommanull-Paarlauf im Eistanz. Er schwieg, sie schrie.

Sie stellte sich ihm in den Weg.

»Wir machen doch sowieso kaum noch was zusammen!«

Albert schob sich an ihr vorbei.

»Meinst du, ich habe nicht gemerkt, wie du dich seit Ewigkeiten davor drückst, mit mir alleine zu sein?«

Albert öffnete den amerikanischen Kühlschrank.

Mona presste die Kühlschranktür wieder zu und lehnte sich herausfordernd dagegen. Albert sah in Monas tiefschwarz funkelnde Augen. Teilnahmslos. In ihren lebendigen, geheimnisvollen Augen war er sonst so gern versunken. Er zog erneut an der Tür und griff sich eine halb volle Weißweinflasche. Sie glitt mit, als wäre sie ein Kühlschrankmagnet.

»Das ist so typisch für dich.«

Albert stellte die Flasche zurück in den Kühlschrank.

»Hast du ernsthaft erwartet, dass ich jubiliere, wenn ihr mich alle verlasst?«

Albert zog den Bauch ein, um Mona ja nicht zu berühren, als er an ihr vorbei zu einem gläsernen Wandregal in ihrer offenen Küche ging, das als Bar diente.

»Erst Alex und jetzt du.«

Albert griff nach einer Whiskyflasche und einem Glas.

»Ist das deine Antwort?«

Albert goss sich ungerührt mindestens einen Doppelten ein und nahm einen großen Schluck davon.

»Komm, nimm auch einen«, sagte er ruhig. Doch das konnte bei ihm die Ruhe vor dem Sturm bedeuten. Oft kam es nicht vor, aber wenn, dann war es eine Art Hurrikan.

»Du machst in ganz Deutschland einen auf Mr. Wichtig als Unternehmensberater-Schrägstrich-Spesenritter und findest es wahrscheinlich ganz toll, dass ich rund um die Uhr in meinem Laden aufgeräumt bin. Ich dachte, wir hätten zumindest in der wenigen Freizeit, die wir haben, endlich mal Zeit für uns.«

Er schenkte sich nach und kippte alles in einem Zug runter.

»Nun übertreib mal nicht so maßlos. Sind doch nur ein paar Tage«, meinte Albert monoton. Es schien so, als wolle er für alle Zeiten so weitermachen.

»Ein paar Tage?« Nun überschlug sich ihre Stimme. Dass sie nach wie vor nur ihre Unterwäsche trug, ließ sie nicht gerade würdevoller erscheinen. Für einen Augenblick sammelten sich Tränen in ihren Augen. »Ein paar Tage, die du lieber mit diesem Scheiß-Paul verbringst! Das war der schrecklichste Heiligabend meines Lebens! Und wer Silvester getrennt verbringt, ist im neuen Jahr nicht zusammen!«, schrie sie.

»Du bist auf dem besten Weg dahin, wenn du so weitermachst.« Sein nachgesetztes »Meine Liebe« klang so gar nicht lieb. Er drehte Mona den Rücken zu, goss sich noch mal Whisky nach und schlenderte betont lässig zum englischen Ledersofa.

»Ich fahre in die Berge. Punkt.«

Sein Plumps in die weichen, abgesessenen Polster untermauerte seine Ansage. Die Sprungfedern ächzten geräuschvoll.

Für Mona war das ganz und gar inakzeptabel. Sie strebte immer nach klaren Verhältnissen – auch wenn sie diese erzwingen musste. Doch manchmal konnte ihre Hartnäckigkeit ganz schön destruktiv sein. Dies war so ein Moment. Nur blöd, dass sie das nicht merkte.

»Herr Albern fährt also in die Berge.«

Eine Reaktion hielt er nicht für nötig, nahm sich stattdessen die Fernsehzeitschrift und blätterte planlos darin herum.

»Ich frag mich, was du da willst. Den Kamin anfeuern? Du kannst ja noch nicht mal Ski fahren. Ach ja, so wie wir deinen Paul kennen, seid ihr da ja nicht alleine.«

»Garantiert nicht«, konterte Albert und legte die Zeitschrift ab. Sein Blick war die reine Provokation. »Und das Schönste ist: Du bist nicht da.«

Mona schnappte nach Luft. Blitzschnell griff sie sich Alberts Handy, das auf dem Couchtisch lag, und drehte sich um. »Und du auch nicht! Ich werde nämlich absagen.« Sie wusste, dass Pauls Nummer als Kurzwahl auf der 4 gespeichert war, nach ihrer, der von Alexander und Alberts Arbeit. Albert konnte sich kaum vom Sofa erheben, da war sie schon aus dem Zimmer gestürmt und hatte gewählt. In der Ewigkeit, die sie dem Klingelton lauschte, war Albert zu ihr gestürmt und hielt sie am Arm. »Gib mir das Handy.« Albert klang immer noch ruhig.

»Hallo?«, rief Mona aufgeregt in den Hörer.

»Sofort. Du gibst mir jetzt dieses Handy!«

»Paul?«

In ihrem sexy Wäscheset sah sie aus wie eine amerikanische Dessouswrestlerin, als sie sich seinem Griff entwand und ins Bad davonrannte, atemlos ins Telefon zischend: »Hier ist Mona. Ja, die! Hör endlich auf, in unserer Beziehung herumzupfuschen, du Arsch!«

Albert würde nie handgreiflich werden, das wusste Mona genau. Richtig hilflos blickte er drein, als er so ein paar Millimeter vor Mona stand, die sich in ihre böse Zwillingsschwester verwandelt hatte, und er wie eine hängende Schallplatte immer denselben Satz wiederholte: »Gib mir sofort mein Handy wieder.«

»Albert kommt nicht mit auf deine beschissene Hütte, und am besten löschst du seine Nummer! Sofort! Kapiert? Mir reicht’s jetzt nämlich mit deinem blöden Studentengetue!«

Albert schnappte nach dem Handy. Mona wand sich wie ein Aal. Wenn Albert nicht mit ihr ringen wollte, hatte er keine andere Wahl, als sie festzuhalten, bis sie sich beruhigt hatte. Doch hier traten zwei ungleiche Gegner an: tapsiger Bär kontra wendiger Lachs.

»Such dir ein eigenes Leben, du Loser, und lass uns ein für allemal in Frieden!«, schrie sie noch, streckte den Arm aus, öffnete die Hand und überließ das Handy dem freien Fall. Direkt in die Kloschüssel.

Albert war so verdutzt, dass er nur hinterherstieren konnte. Auf der Stelle ließ er von ihr ab. Mona betätigte die Spülung, und er beobachtete das Wasserballett seines Telefons. Fragend sah er sie an, sah ihren entschlossenen Blick, ihre plötzlich männlich-harten Züge, die so gar nicht zu ihrem weiblich-weichen Körper passen wollten. Wortlos krempelte er seinen Bademantelärmel hoch, fischte das Gerät aus seinem nassen Grab und verließ das Badezimmer. Mona klappte den Klodeckel runter und ließ sich erschöpft darauf fallen. So weit war es noch nie gekommen – die Rücksicht auf Alexander ließ sie sonst immer die Contenance bewahren. Aber ein Zurück gab es jetzt nicht mehr. Auf in die zweite Runde.

Sie nahm ihren Bademantel von einem Haken an der Wand und schlüpfte hinein. Henry Maske auf dem Weg in den Ring.

Die Hände in die Seiten gestemmt, baute sie sich zwischen Albert und dem Fernseher auf. In ihrem Rücken sang irgendein Opernstar Stille Nacht mit italienischem Akzent.

Albert sah zu ihr hoch und ließ seinen Blick eine Weile auf ihr ruhen.

Dann stellte er sachlich fest: »Wir brauchen definitiv Abstand. Silvester bin ich auf der Hütte. Punkt.«

»Weißt du was?«

»… nur das traute hochheilige Paar …«, sang der beleibte Italiener.

»Du kannst dich jetzt gleich auf den Weg machen.« Ihre halbe Drehung war einer Tänzerin würdig. »Punkt.« Ihr ausgestreckter Finger landete auf dem »Aus«-Knopf des Plasmafernsehers, und bevor Albert reagieren konnte, war sie schon im Schlafzimmer verschwunden.

Keine zehn Minuten später schleppte sie einen Koffer ins Wohnzimmer und warf ihn Albert vor die Füße. Unter anderen Umständen hätten sie in ihren Partnerlook-Bademänteln ein hübsches Pärchen abgegeben.

»Tschüss!« Wieder schaltete sie den Fernseher aus. »Viel Spaß mit deinem Loserfreund!«

Jetzt hatte sie Albert tatsächlich zum Brüllen gebracht: »Worauf du dich verlassen kannst!« Wutentbrannt sprang er auf. Und stieß mit dem großen Zeh gegen den Koffer.

»Verdammt!« Fluchend humpelte er ins Schlafzimmer, wo Mona ihn schimpfend herumhantieren hörte, während sie sich einen Weißwein eingoss, um sich damit aufs Sofa zu setzen und mit wachsender Verzweiflung den Koffer anzustarren. Auf einmal waren die vergangenen Stunden ein einziger dichter Nebel. Als wäre sie bewegungsunfähig in einer Lawine gefangen und müsste auf Hilfe von außen warten. Wenn Albert erst mal richtig in Fahrt war, war der Strohhalm zerbrochen, an den sie sich gerne geklammert hätte. Ihm nachzugehen oder versuchen einzulenken hatte jetzt keinerlei Wirkung mehr. Wie war sie nur in diesen Schlamassel geraten?

Ohne ein Wort kam Albert – jetzt in voller Wintermontur (Daunen kleideten ihn wirklich nicht, er sah aus wie ein Michelin-Männchen) – herein, nahm den Koffer und sein Handy, das er zum Trocknen auf die Heizung gelegt hatte, und rauschte wieder aus dem Zimmer. Wie festgeschraubt blieb Mona auf dem Sofa sitzen, ihr Weinglas immer noch in der Hand. Die Stimme, die ihm »Frohes neues Jahr« hinterherrief, bevor die Wohnungstür ins Schloss fiel, schien nicht ihr zu gehören. Einundzwanzig, zweiundzwanzig, und schon konnte sie diese gespenstische Stille nicht mehr ertragen. Ein Adrenalinschub verdrängte die Schockstarre in ihrem System. Sie musste was tun. Instinktiv griff sie zum Telefon. Beim hektischen Durchsuchen ihrer Kontaktliste wurde ihr flau im Magen. Scheiße, ihre Mutter war ja in Thailand. Die überwinterte da wie jedes Jahr. Schon früher waren sie beide in den Weihnachtsferien meist in den Urlaub gefahren, anstatt so richtig traditionell zu feiern, darum hatte Mona später an Heiligabend eigentlich nie mit ihr gerechnet. Der plätzchenbackende Omatyp war ihre Mutter nun mal nicht. Die Kosten für einen Flug nach Thailand hätte Mona auf sich genommen, aber im Yogakloster war Handyverbot.

Selbst als Schlüsselkind hatte sie sich nicht so schrecklich klein und allein gefühlt.

Weiter in der Liste. Scheiße, überall nur die Mailbox. Klar. Alle hatten was Besseres zu tun, als ihr Gejammer anzuhören: emotionsgeladene Familienzusammenkünfte, mehrgängige Abendessen, kurzweilige Spieleabende, wehmütige Diavorträge, innige Liebesurlaube in Luxushotels und abgelegenen Refugien. Einer Hütte zum Beispiel. Aaaaah, sie hasste Albert dafür, dass er ihr Weihnachtsidyll zerstört hatte. Sie hätte ja sogar ein Silvester zusammen mit Paul in Kauf genommen … Aber so war er eben: einer, der nicht lange fackelte. Eigentlich hatte sie genau das immer an ihm gemocht. Ihren Heiratsantrag hatte sie auch überraschend schnell bekommen. Da hatte sie seine stoische Sicherheit toll gefunden, die unverrückbare Gewissheit, dass sie beide zusammengehörten – komme, was wolle. Doch jetzt hätte sie sich gewünscht, dass er nicht so entschlossen wäre und schleunigst wieder zur Vernunft käme. Denn das war doch verdammt noch mal sein Part in ihrer Beziehung – der Vernünftige. Ihrer war, sich ständig was Neues einfallen zu lassen.

Zwei Nachrichten hinterließ sie, eine schließlich doch bei ihrer Mutter und eine bei ihrer ehemaligen Arbeitskollegin Annette, mit der sie bei der Foodagentur gerne ihre Pausen verbracht hatte. Und dann nervte sie ihre weinerliche Stimme selbst schon derart, dass sie nur noch fluchte, wenn mal wieder keiner ranging. Schnell war sie bei Z angelangt. Fast nur Geschäftskontakte oder Paare, die Albert und sie gemeinsam kannten. Ja, in der Schule, da hatte es Susi gegeben, Monas richtig dicke Busenfreundin über Jahre, aber als sie beide verheiratet waren, war ihnen ihre enge Freundschaft irgendwie abhandengekommen. Nichts Ungewöhnliches bei Menschen in langen Beziehungen, deren Austauschbedarf von Intimitäten jeglicher Art ja durch den Partner und die Familie meist hinreichend gedeckt wurde. Mona war da keine Ausnahme. Mit Alexander, Albert, ihrem vielschichtigen Beruf und ab und an den Schwiegereltern war sie bisher gut ausgelastet gewesen.

Ein wütender Schluchzer erschütterte Monas schlanken Körper, und dann kullerten endlich große Tränen über ihre Wangen. Sie holte sich eine Schachtel Kleenex aus dem Bad. So viel Flüssigkeit, wie aus ihr rauslief, goss sie an Wein nach. Der Grinch im Fernsehen war keine Hilfe.

 Stille Tage 

Mona drehte den Schlüssel im Schloss um. Sie trat in die kühle Stille ihres Kochbuch-Ladencafés ein, und in diesem Moment hatte sie zum ersten Mal wieder das Gefühl, dass sich ihre Schultern entspannten.

Dies war ihre Kirche. Ein Ort des Friedens und der sich geradezu religiös stetig wiederholenden Rituale. Lichter anschalten, Heizung hochdrehen, Kassencomputer hochfahren, Kaffeemaschine aufheizen, Kühltheke aktivieren und mitgebrachte selbst gebackene Kuchen darin ansprechend platzieren, Spülmaschine ausräumen, ANRUFBEANTWORTER abhören, Post sichten, bestellte Bücher auspacken und an ihren Plätzen in den Regalen einsortieren, Verlagskataloge mit den Neuerscheinungen durcharbeiten und Bestellungen aufgeben. Wie ferngesteuert verrichtete Mona heute all jene Aufgaben, die ihr bislang so viel Erfüllung gegeben hatten. Und sie war mehr als dankbar, dass sie nicht in diesem Zustand wie noch vor Kurzem fröhlich den lieben langen Tag Gute-Laune-PR für die Luxusfood-Agentur machen, Juhuartikel verfassen und Jippiehaktionen erfinden musste. Wahrscheinlich hätte sie sich krankschreiben lassen, damit niemand aufgrund ihrer rot geäderten Augen indiskrete Fragen stellte.

Ja, auch heute, am Tag drei nach Alberts Verschwinden, bereute sie nicht, vor einem halben Jahr den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt zu haben. Was nicht hieß, dass sie sich das nicht anders vorgestellt hatte. Irgendwie war ihr Leben plötzlich wie eines dieser Schiebepuzzle, wo gar nichts mehr passte, sobald man ein einziges Steinchen an die falsche Stelle schob. Ihr Bild war vollkommen gewesen: Bis zum Nachmittag führt sie ihr gemütliches Ladencafé, das wie eine private Bibliothek aussieht, alleine, bis Alexander aus der Schule oder von seinen anderen Aktivitäten zu ihr kommt. Sie trinken zusammen Kaffee, essen Kuchen, dann macht er seine Hausaufgaben. Wenn starker Kundenandrang ist, unterstützt er sie und lernt sich dabei in das Geschäft ein. Auf dem Nachhauseweg hilft er ihr beim Einkaufen. Sie bereitet das Abendessen zu, das sie gemeinsam mit Albert einnehmen. Das hatte Mona sich nie nehmen lassen, selbst wenn es noch so hoch hergegangen war. Beim Kochen konnte sie sich entspannen, ihrer ganzen Kreativität freien Lauf lassen und nebenbei die Menschen glücklich machen, die ihr am liebsten waren. Mona fror oft – eigentlich rund um die Uhr und so war das Kochen nicht nur ihre große Leidenschaft, sondern auch ein bisschen Überlebenstrieb. Küchen waren die einzigen Räume, in denen es immer warm war. Deshalb mussten es auch Kochbücher sein, die sie unter die Leute bringen wollte. Ihre private Sammlung war schon beachtlich, doch in ihrem Laden könnte sie einfach alles bestellen, was sie immer schon interessiert hatte.

Dagegen präsentierte sich der Istzustand wie ein Picasso-Gemälde aus seiner sehr abstrakten Phase. Aber wer hatte welches Steinchen wohin geschoben? Kaum hatte Mona ihren Laden eröffnet, hatte Alexander Fluchtgedanken geäußert. Hätte er nicht nach Frankreich (wenigstens kulinarisch interessant) oder meinetwegen sogar Finnland (durchaus neuseelandtauglich: Viel Wasser rundherum, dafür wenig Menschen, die wenig reden) gehen können? Kaum war er abgereist, da schien es Mona, als würden sich auch zwischen Albert und ihr Kontinente auftun. Wenn sie’s recht bedachte, hatte ihr Mann neuerdings auch was von einem Finnen: Er redete wenig (und wenn, dann unverständlichen Arbeitskauderwelsch) und trank viel. In seinem Schlossgraben, den er um seine beredt schweigende Festung errichtet hatte, floss giftig brodelndes Wasser, seine Zugbrücke war meist hochgezogen. Auf jeden Fall war sie seit Heiligabend hermetisch abgeriegelt, denn seitdem hatte Mona kein Lebenszeichen mehr von ihm vernommen. Da sie sich die Schmach ersparen wollte, bei ihm anzurufen und festzustellen, dass sein Handy ausgeschaltet war, hatte sie es auch gar nicht erst versucht.

Bevor sie sich erneut – wie so ziemlich in jeder wachen Minute dieser mörderisch langen Weihnachtsfeiertage – bunt schillernd ausmalen konnte, was ihn alles Spannendes davon abhalten konnte, sich bei ihr zu melden, riss der melodische Klang der Ladentür sie aus ihrem quälenden Mantra. Showtime. Robotergleich setzte sie ein Lächeln auf und sagte freundlich: »Guten Tag.« Ihre Stimme klang flach. So lange mit keiner Menschenseele zu sprechen war sie nicht gewohnt. Bestimmt hatte sie Tausende von Hirnzellen eingebüßt. Das Experiment, das sie mal im Fernsehen gesehen hatte, würde sie nie mehr vergessen: Bei Probanden wurden Intelligenztests gemacht, und dann wurden sie von der Außenwelt isoliert. Nicht etwa in einer Zelle, sondern in einer geschmackvoll eingerichteten Wohnung – wie bei ihr. Sie durften nicht lesen, nicht fernsehen, nicht Radio oder Musik hören, nicht telefonieren, konnten weder auf die Straße schauen noch den Geräuschen ihrer Umgebung lauschen. Schon nach zwei Tagen Isolation fiel der Intelligenztest erheblich schlechter aus. Albert war schuld, wenn sie das Einmaleins vergaß.

Sie nahm einen tiefen Atemzug und widmete sich ihrem Kunden.

»Espresso?«

Es war dieser Anwalt aus der Kanzlei im Nachbarhaus, der täglich mindestens einmal bei ihr reinschneite und sich schnell einen doppelten Wachmacherespresso reinkippte, um zwischendurch mal vom Schreibtisch wegzukommen.

»Gerne.«

Sie sah ihn an. Sein verschmitztes Lächeln gefiel ihr. Mona hatte nicht den Eindruck, als würde er jemals laut lachen.

»Dass Sie auch arbeiten …«, sagte sie.

Routiniert mahlte sie eine Portion Kaffeebohnen, zapfte einen Träger voll Kaffeepulver aus der Mühle und spannte diesen in das chromglänzende italienische Ungetüm ein, von dem sie schon immer geträumt hatte. Sofort durchdrang feinherber Kaffeeduft den Buchladen.

»Was sind das denn für Fälle, die nicht bis nach Silvester warten können? Eheverträge? Oder Steuerhinterziehungen?«

Selbst wenn in einem Kochbuchladen selten Kunden Schlange standen, sie auszufragen war sonst nicht Monas Art. Meistens erzählte sie irgendwas Belangloses von sich, um eine Verbindung aufzubauen und anhand der Reaktionen einzuschätzen, welche Buchempfehlungen sie aussprechen sollte. Aber heute war es eine Wohltat, endlich wieder ihren Intelligenzquotienten steigern zu dürfen.

»Ehrlich gesagt, so fleißig bin ich heute gar nicht«, entgegnete er und sah Mona dabei zu, wie sie eine Untertasse auf ein ovales Silbertablett stellte und mit einer kleinen Silberzange eine selbst gebackene Walnussmakrone aus der Theke holte und an den Rand legte. Seine Kleidung jedenfalls verriet das nicht, die war von derselben lässigen Eleganz wie sonst auch: feinste Hosen, Hemden und Pullover oder allenfalls mal ein Polohemd unterm Sakko, die seine durchaus durchtrainierten, aber fast jungenhaft schmalen Konturen stets körpernah nachzeichneten. Während Albert die Statur einer Eiche hatte, könnte man ihn hier mit einer Birke vergleichen.

»Aber ich freu mich, dass Sie arbeiten.« Wieder dieses Lächeln. Das zeigte er ihr nicht oft, was ein Indiz dafür war, dass er nicht aus seiner Kanzlei kam, denn dann hatte er meist so einen vergeistigt-ernsten Gesichtsausdruck, als wäre er immer noch mit seinen Schriftsätzen beschäftigt. Das alles wurde ihr jedoch erst jetzt bewusst, denn so genau hatte sie ihn bisher nie wahrgenommen. Mona musste schmunzeln, als sie ein Glas mit Leitungswasser füllte und es neben die Untertasse aufs Tablett stellte, während der Espresso durchlief.

»Wieso? Ist Ihnen der Kaffee ausgegangen?«

Sie nahm einen gläsernen Krug aus der französischen Anrichte aus weiß gekalktem Holz, in dem sie ihr Geschirr aufbewahrte, füllte ihn voll Wasser und stellte ihn vor den Anwalt auf die Theke. Das war so ein Souvenir aus Amerika. Mit Wasser darf man nicht geizen, fand sie. Wir alle müssten ein Grundrecht auf Wasser sowie darauf haben, überall die Toilette zu benutzen.

Er nahm einen Schluck und sagte: »Nein, ich benötige ein Buch.«

Behutsam platzierte sie die Espressotasse neben der Makrone und rückte eine Zuckerdose in seine Nähe.

»Wirklich? Hätte nicht gedacht, dass Sie kochen.« Seine feingliedrigen, sehnigen Hände sahen jedenfalls nicht danach aus. Lange Daumen, keine Narben.

»Ach nein, nicht ich, die Freundin kocht. Wir feiern zusammen Silvester, und für die ganze Mühe würde ich ihr gerne ein Buch schenken. Natürlich etwas, das thematisch passt. Haben Sie so was, mit festlichen Kleinigkeiten oder Salaten oder was man da sonst noch so isst?«

So so, eine Freundin. Ob sie zusammen wohnten? Verheiratet war er also nicht. Das konnte man ja heute nicht mehr so genau feststellen – kaum jemand trug seinen Ring, Solitäre waren kein Zeichen mehr für ein Eheversprechen, manche Ehepaare wohnten in getrennten Wohnungen oder Städten, und wem welche Kinder zuzuordnen waren, das stand noch auf einem ganz anderen Blatt. Mona war da inzwischen vorsichtig geworden. Sie hatte sich schon so einige Male geirrt und Väter zu Opas gemacht, Geliebte zu Müttern und Geschwister zu Paaren.

»Was gab’s denn sonst bei Ihnen an Silvester zu essen?« Mona wurde nie müde, sich über Essen zu unterhalten. Kaum zu glauben, wenn man sie sich ansah. Sie war entschieden schlanker, als man sich eine Köchin vorstellte, und auch ihre stets lackierten Nägel ließen nicht darauf schließen. Einzig ihr Laden, der eher aussah wie eine gemütliche Küchenwohnstube in der Provence als ein Buchladen, verriet, wie gerne sie am Herd stand.

»Die Gulaschsuppe, die meine Mutter machte, durften wir erst nach dem Feuerwerk essen. Zum Abendbrot gab es Würstchen und Kartoffelsalat.« Abendbrot. Was für ein nettes ausgestorbenes Wort. Ein Abendbrot-Kochbuch wäre ja mal eine schöne Idee.

»Selbst gemachten?«

»Aber natürlich, wo denken Sie hin? Meine Mutter war Hausfrau.«

Er steckte sich die Makrone in den Mund. »Mmmh. Selbst gemacht?«

»Aber natürlich, wo denken Sie hin?«, antwortete Mona kokett. »Bei uns gibt’s immer Raclette. Da ist dann so viel Zeug auf dem Tisch, dass man keinen Millimeter Holz mehr sieht.« Schon machte sie sich auf die Suche nach geeigneten Büchern.

»Haben Sie denn Schweizer Wurzeln?«, fragte der Anwalt interessiert, drehte sich auf dem Barhocker um und sah ihr zu, wie sie herumwanderte und auf einen Stapel großformatiger Bücher, den sie auf dem Arm balancierte, eins nach dem anderen draufpackte.

»Warten Sie, ich helfe Ihnen«, sagte er, nahm ihr den Bücherturm ab und legte ihn auf die Theke.

»Die hier sind alle höchstpersönlich erprobt«, bemerkte sie, nahm das oberste vom Stapel, blätterte es auf und reichte es ihm.

Herausfordernd stemmte sie ihre Hände in die Hüften.

»Finden Sie denn, da würde ich hinpassen? In die Schweiz?«

Er betrachtete sie, ließ versonnen ihre dunklen Locken, ihre schwarzen Augen, ihr buntes feminines Kleid auf sich wirken und schüttelte den Kopf. »Wo sind denn Ihre Wurzeln? Ich möchte Ihnen ja nicht zu nahe treten, aber so ganz passen Sie auch nicht hierher.«

»Ach ja?« Ein nachdenkliches Lächeln huschte über Monas Gesicht. »Tja, keine Ahnung. Kann sein.«

 Frohes Neues! 

Hätte Mona Tagebuch geschrieben, wäre dies ihr Eintrag für den 31.12. gewesen:

Halb zwölf, und ich bin allein. Lust aufs Feiern gründlich vergangen. Telefonstecker gezogen. Zu stolz, um Albert zu kontaktieren. Mit Alexander gestern zum letzten Mal geskyped. Gute Miene zum bösen Spiel, will ihn nicht beunruhigen. Horoskopausblicke in Frauenzeitschriften gelesen – wie tief bin ich gesunken? Das alles steht da nicht mal ansatzweise drin. Mein neues Jahr sollte glamourös beginnen …

Selbstmitleid, Scheiße. Das dämlich-fröhliche Fernsehprogramm reingezogen, saufend und schluchzend. Gott sei Dank jede Menge Champagner und Klopapier da. Was habe ich nur angestellt?

Feuerwerk kann mir gestohlen bleiben, gehe jetzt ins Bett.

Kopfschmerzen.

Tag eins eines jeden neuen Jahres hatte immer eine einzigartige Atmosphäre. Verkohlte Feuerwerkskörperfetzen und am Straßenrand zurückgelassene Sektflaschen-Startrampen ragten als Zeugnisse der allüberall begangenen ausgelassenen und glücklichen Begrüßungsfeier aus der Schneedecke hervor. All überall außer bei mir, dachte Mona. Ihr Kopf dröhnte immer noch, doch wenn sie sich nicht in fünf Schichten Kleidung gepackt und schleunigst an die klirrend-kalte klare Luft begeben hätte, wäre sie in ihren wohlig-warmen, aber viel zu stillen vier Wänden erstickt. Beschauliche Neujahrskonzerte als Versuch, Außenweltgeräusche in ihr Heim zu holen, hatten ihre Melancholie innerhalb von drei Minuten verdreifacht. Da war selbst das niedliche Eichhörnchen im Smoking (schwarzer Anzug, weißes Brustschild), das durch ihre Terrassentür gelugt hatte, kein anhaltender Trost gewesen, denn auch das hatte keckernd die Flucht ergriffen, sobald sie es begrüßt hatte.

Mona war die Einzige der sehr vereinzelten Menschenseelen, die ohne Hund unterwegs war – Gassigehen war wirklich der einzige plausible Grund, um zu dieser Zeit schon aus dem Haus zu gehen. Laut knirschend nahm sie dem Neujahrsschnee seine Unschuld, als sie mit gleichmäßigen schweren Schritten geradewegs in Richtung Laden voranstapfte.

Von Albert hatte sie um acht Uhr eine SMS bekommen, die eindeutig als unpersönliche Rundnachricht zu erkennen gewesen war: »Ein glückliches und gesundes Neues Jahr!«

Dass sich Albert nicht mehr einkriegte, war so gar nicht seine Art.

Was hätte sie anderes tun können, als an diesem unwürdigen Feiertag wenigstens ihrem Tempel ein Festtagsgewand anzulegen? Im bereits unangenehm müffelnden Schlafanzug zu Hause ihre Misere zu zelebrieren war jedenfalls keine Option. Getrieben von einem wütenden Elan, hatte Mona sich sofort darangemacht, ihren Laden umzudekorieren. Das Regal mit den Candle-Light-Dinnern, Verführungs- und Verwöhnrezepten für Verliebte hatte sie als Erstes leergefegt, die verführerisch gestalteten Bände auf dem leicht verstaubten Parkettboden unordentlich aufgetürmt. Nun waren die Schaufenster dran. All die hübsch aufgemachten Liebesgaben, die sie dort extra zu Weihnachten so ansprechend in Szene gesetzt hatte, waren ihr nun zuwider. Ein Buch nach dem anderen rupfte sie energisch aus ihrer stilvollen Dekoration.

Aphrodisierende Speisen – braucht kein Mensch! Und schon lagen sie auf dem Boden. Erotische Bände und Lesezeichen – nutzloser Quatsch! Rumms, knallte der ganze Stapel daneben. Die ältere Dame, die vor dem Fenster stehen blieb, um ihr zuzusehen, bemerkte Mona vor lauter Rage überhaupt nicht. Kulinarische Geschenkideen – Perlen vor die Säue! Alles, was auch nur ansatzweise mit Lust und Liebe zu tun hatte, wollte sie so weit wie möglich aus ihrem Blickfeld verbannen. Das musste alles weg, am besten ins Lager. Rückwärts kletterte sie aus dem Schaufenster und trat genau in den Berg von Büchern. Sie verlor das Gleichgewicht. Ihren Sturz konnte sie wie eine Slapstickszene aus einem Dick-und-Doof-Film in Zeitlupe von außen betrachten. Der Stapel fiel, Mona fiel, die alte Dame klopfte besorgt an die Scheibe. Eine Millisekunde, bevor Mona total verdreht auf dem Boden aufschlug, trafen sich ihre Blicke. Monas erstaunt, der der Dame entsetzt.

Bevor sie ihre Körperteile wieder richtig arrangieren konnte, um sich aufzurichten, hörte sie den Gong und das Öffnen und Schließen der Ladentür.

»Alles in Ordnung?«, rief eine mütterlich-warme Stimme wie durch einen Wattebausch.

Die tiefschwarz kajalumrandeten Augen, die Mona durch die Scheibe angestarrt hatten, schwebten nun über ihren. Besorgt reichte ihr die Dame eine kräftige, mit massiven Goldringen geschmückte Hand. Trotzdem eine Hand, der man jahrelange Arbeitsstunden ansah.

»Können Sie aufstehen?«

Dankbar hielt Mona sich an ihr fest und hievte sich nach oben. Wäre schön, wenn der Bienenschwarm in ihrem Kopf bald zur Ruhe käme.

»Vielen Dank«, stammelte sie, als sie wieder das Gefühl hatte, alles an ihr sei am richtigen Fleck. Sie sah die mindestens zwei Köpfe kleinere Dame an. Nicht nur ihr leichter Akzent, auch ihr markantes Profil verrieten eine orientalische Herkunft. Mit einem wohligen Gefühl spürte Mona ihre warme und weise Ausstrahlung, die sie auch an ihrer türkischen Gemüsehändlerin so gern mochte.

»Sie kamen ja wie gerufen – als wären Sie vom Himmel herabgeschwebt!«, sagte Mona.

So gemütlich rund wie ihr Körper, so freundlich rund war ihr Lächeln. Sie kramte in ihrer etwas abgenutzten Krokohandtasche, griff nach Monas Hand und legte ihr eine merkwürdig aussehende dunkelgrüne Kugel, eine Art Kräuterpille, in die Handfläche. Sie umschloss Monas Hand, drückte sie zu und sagte: »Trinken Sie das, ist gut für den Kreislauf.«

Mit ihrer freien Hand berührte Mona die Frau sanft am Ärmel ihres Wollmantels. Er war weich, fühlte sich teuer an, der Fellkragen war sicher echt.

»Haben Sie Zeit, einen Kaffee mit mir zu trinken? Ich würde mich freuen«, bat sie spontan der Fremden an. Ohne deren Reaktion abzuwarten, wies sie ihr einen der Barhocker vor der Theke zu und setzte die Kaffeemaschine in Gang.

Mit kritischem Blick musterte die Orientalin jede von Monas Bewegungen, ihre Handtasche dabei fest im Griff auf dem Schoß. Das taten alle alten Damen, wieso bloß? Mona hoffte inständig, dass sie sich als alte Frau nicht an ihre Tasche klammern würde.

»Legen Sie doch ab, sonst frieren Sie, wenn Sie wieder nach draußen gehen.« Ein Satz, den sie immer augenrollend von ihrer Mutter gehört hatte und trotzdem ebenfalls immer und immer wieder zu Alexander gesagt hatte. Der hatte genauso begeistert wie sie reagiert und sich, sooft er konnte, nicht daran gehalten. Ihr Gast zögerte einen Augenblick, bevor er Monas Vorschlag nachkam.

»Wieso räumen Sie eigentlich diese Bücher auf, anstatt für Ihre Familie Essen zu kochen?«, fragte die Dame mit einer für ihre kleine Statur überraschend großen Geste – eine Opernsängerin, die ihrem Publikum huldigt. Dann hielt sie wieder ihre Tasche fest.

»Ach …« Ein vielsagendes Schweigen reichte als Antwort.

»Machen Sie einen Mokka.« Die Aufforderung war so bestimmt, dass es Mona gar nicht in den Sinn kam zu widersprechen. »Sie sind traurig. Ich lese für Sie den Kaffeesatz.« Auch das duldete keine Widerrede.

»Und was machen Sie eigentlich so alleine auf der Straße?« Ein bisschen was wollte Mona schon über diese Person wissen, die direkt in ihre Seele zu schauen schien.

Die Dame senkte den Kopf, als sei es ihr peinlich. »Mein Mann ist gestorben.«

Einen kurzen Moment wünschte Mona, sie hätte das auch sagen können, weil es sich irgendwie tröstlicher angefühlt hätte als Alberts fieser Liebesentzug. Doch das konnte sie natürlich niemandem sagen, weshalb sie erwiderte: »Oh, das tut mir leid.«

Sie stellte einen Teller mit ihren Makronen und einen perfekten Cappuccino vor die Dame. »Aber Sie haben doch sicher Familie?«

Da strahlte sie. »Meine Töchter sind schon lange erwachsen.« Genussvoll verspeiste sie gleich mehrere Makronen. Die meisten deutschen Frauen hätten sich wahrscheinlich geziert, weil es der Anstand so wollte und weil man natürlich auf seine Linie zu achten hatte. Mona nervte das Diätgetue unendlich. Ihre Vermutung war, dass all jene, die sich in Lokalen zu jeder Tages- und Nachtzeit immer nur Salate oder »was Kleines« bestellten, zu Hause tonnenweise Nutella aus dem Glas löffelten.

»Mein Sohn auch schon fast. Das geht viel zu schnell …«, sinnierte Mona wehmütig. »Wie viele haben Sie denn?«

»Drei. Karima, meine älteste Tochter, ist erst im Oktober mit ihrem Mann weggezogen. Ins Ausland.« Nach einer Pause, in der sie sich noch eine Makrone einverleibte, fügte sie hinzu: »Nach Abu Dhabi.«

»Alexander ist gerade in Neuseeland. Ich vermisse ihn schrecklich«, gestand Mona. »Stammen Sie aus Abu Dhabi?«

Wieder diese ausladende Geste, als präsentiere sie Mona ihr ganzes Land. »Meine Heimat ist der Libanon. Aber wir sind schon sehr lange hier. Sie müssen die Tasse fast voll gießen.« Unter den aufmerksamen Blicken der Frau tat Mona, wie ihr geheißen. »Und jetzt?«

»Jetzt warten wir. Das muss sich setzen. Nehmen Sie eine Untertasse. Ich sage Ihnen, wann Sie trinken dürfen.« Mona stellte die Untertasse auf die Theke, setzte die Mokkatasse vorsichtig darauf, kam um die Theke herum und nahm auf dem Barhocker neben diesem geheimnisvollen Engel Platz, der ihren Tag gerettet hatte und sie völlig in ihren Bann zog. Vergessen waren die Bücherhaufen und – Gott sei Dank – endlich auch mal Albert. Unter anderen Umständen hätte sie das Ganze für eine zwielichtige Masche gehalten, wie die der Frauen, die einem auf der Straße aus der Hand lesen wollten, um einen dann zu beklauen. Um die machte Mona einen großen Bogen. Doch zu dieser Fremden spürte sie ein großes, unerklärliches Vertrauen, ein geteiltes Wissen, aber auch ein neugieriges Fragezeichen.

Mona beobachtete den Mokka, der Engel aß weiter Walnussmakronen.

»Und Ihre anderen Kinder?«

»Laila und Sie könnten Schwestern sein. Sie haben die gleichen Augen und die gleichen Lippen.« Mona lachte.

»Sie ist sehr unabhängig. Obwohl sie die Jüngste ist – sie dürfte Ihr Alter haben –, ist sie als Erste ausgezogen. Sie hat nie geheiratet. Sie wohnt nicht weit weg von mir, aber jetzt wollte sie unbedingt alleine in den Urlaub fahren. Jeden Tag mache ich mir Sorgen. Aber nur wenn jemand geht, kann er zu dir zurückkommen.«

Würde sie im Kaffeesatz sehen, dass Albert gegangen war?

»Wer bleibt, sieht dich manchmal nicht mehr.«

Was, wenn sie ihr sagte, dass er nicht zurückkam? Wollte sie das wirklich wissen?

»Ich musste loslassen.« Dazu war Mona ganz und gar nicht bereit. Ihre Anspannung wuchs.

Viele ihrer Freunde waren, sobald sie in Rente gingen, in ihre Heimat zurückgekehrt, erzählte die Frau weiter. So teilte diese lebenserfahrene Libanesin das Schicksal so vieler älterer Menschen in Großstädten, die nach dem Tod des Partners nur noch selten Gelegenheiten fanden, sich mit jemandem auszutauschen. Was für eine schreckliche Verschwendung von Lebenserfahrung, wenn sie nicht mit anderen geteilt wird, dachte Mona. Und es befiel sie eine tiefe Ahnung, dass es kein Zufall war, dass sie beide sich begegnet waren.

»Trinken Sie. Nur so viel, wie ich Ihnen sage.« Mona nahm vorsichtige kleine Schlucke, nach jedem zeigte sie den Inhalt der Tasse, bis die Frau ihr bedeutete, dass es jetzt genug war.

»Legen Sie die Untertasse auf die Tasse und drehen Sie das Ganze schnell um. Dann müssen wir wieder warten.« Sie lächelte geheimnisvoll.

Zwar fand Mona es überflüssig, dass ihre Mutter aus jedem Asienaufenthalt einen neuen Buddha mitbrachte, doch im Gegensatz zu Albert, der alles als Hokuspokus bezeichnete, was nicht mathematisch zu erklären war, war sie für alles Mögliche aufgeschlossen, solange es nicht wehtat. Plötzlich war sie sich aber gar nicht mehr so sicher, ob das hier nicht doch Schmerz verursachen könnte. Sie versuchte noch eine kleine Schonfrist herauszuschinden.

»Also Karima und Laila … und wie heißt die Dritte?«

»Mona.«

Konnte das wahr sein? War es Monas Gesichtsausdruck, der ihren Namen verraten hatte, oder hatte diese Fremde hellseherische Fähigkeiten? Jedenfalls sagte sie: »Sie heißen auch Mona?«

Die Dame hob die Mokkatasse hoch und drehte sie hin und her, um Tasse und Unterteller einer eingehenden Prüfung zu unterziehen. Ihre Miene verriet gar nichts, Mona wurde fast verrückt vor Anspannung. Nach einer elend langen Ewigkeit sagte sie: »Da sind Pyramiden.«

Pyramiden? Mona traute sich nicht, etwas zu sagen.

»Sie machen eine Reise.« Na ja, das taten wir doch alle irgendwann. Also doch Humbug.

»Hier ist ein Mann. Ihr Mann. Und eine Frau.« Oh, Gott sei Dank, Albert und sie als Paar. Also war diese Trennung nur vorübergehend. Schon seltsam, dass Humbug einen so beruhigen konnte …

»Da ist noch ein Mann, nein, da sind zwei Männer, und beide sind nicht bei Ihnen«, fuhr die Dame fort.

»Der eine könnte doch mein Sohn sein, oder?«, fragte Mona. »Oder nein, vielleicht sind das mein Mann Albert und sein Freund Paul? Die sind gerade zusammen auf Reisen.«

»Ja, Ihr Sohn wäre möglich, denn hier, sehen Sie, hier ist ein Herz.« Ja, Mona sah das Herz deutlich und nickte.

»Aber auch mit dem anderen Mann sind Sie sehr verbunden.« Sie versah Mona mit einem prüfenden Blick.

»Außerdem sind da noch Frauen. Hier steht eine in Ihrer Nähe, und da sitzen viele an einem Tisch.« Was bitte sollte sie mit dieser Information anfangen?

»Die Frau in Ihrer Nähe ist neidisch auf Sie.« Die einzige Frau, die sich in ihrer Nähe befand, war die Kaffeesatzleserin. Wer sollte denn damit gemeint sein? Monas Hirn fing an zu blubbern.

»Hier ist ein Schaf zu sehen.« Jetzt wurde es aber richtig bizarr. »Ein Mann mit einem Stock steht daneben.«

Mona beugte sich vor, um in die Tasse zu sehen. Tatsächlich, die Gestalt mit dem Stock war klar erkennbar. Es sah aus, als ob er in einen langen Mantel gehüllt war. Als die Frau ihr das Schaf daneben zeigte, platzte es aus Mona heraus: »Schäfer! Das ist ein Schäfer! So heiße ich.«

Die Frau sah Mona verwundert an. »Sie heißen Schäfer? Haben Sie eine Reise zu den Pyramiden gemacht?«

»Meinen Sie nach Ägypten? Nein, da war ich noch nie«, entgegnete Mona.

Die Frau ließ nicht locker. »Irgendein Schäfer – vielleicht also jemand aus Ihrer Familie – hat eine Reise nach Ägypten gemacht.« Merkwürdig, Gott und die Welt waren schon in Ägypten gewesen, aber Albert und sie konnten sich nie darüber einig werden, ob sie zum Tauchen ans Rote Meer (Albert) oder zu einer Nilkreuzfahrt nach Kairo (Mona) fahren sollten – und ließen es dann bleiben.

»In diesem Land ist noch ein Mann. Das Schaf oder der Schäfer und er sind miteinander verbunden.« All das formulierte sie so unumstößlich, als sei es ein Gesetz. »Ist Schäfer der Name Ihres Mannes?«, fragte sie Mona.

»Ja, aber auch der meiner Mutter, stellen Sie sich vor! Ich hatte richtig Glück. Wie heißen Sie eigentlich?«

»Ich bin Ezra.«

Als Mona ihren Laden zusperrte, war es wieder dunkel. Sie war ruhig und aufgewühlt zugleich. Lag das an dem Sud aus Ezras grüner Kugel, den sie nach der Kaffeesatzlesung trinken musste? Stundenlang hatten sie und die alte Dame noch gesessen und geredet. Erst hatten sie Monas gesamte Kuchenvorräte verspeist und dann was vom Thai kommen lassen. Wenn ihr morgens jemand gesagt hätte, dass ihr 1. Januar noch so erfüllend werden würde, sie hätte ihm einen Vogel gezeigt.

 Nicht artgerecht 

Irgendwas war anders. Albert hatte meistens einen sachlichen Ton, aber als er nach seiner Rückkehr von der Hütte aus dem Auto anrief, klang es für Mona nicht so, als wäre wieder alles in Butter zwischen ihnen. Er klang überhaupt nicht nach dem Albert, den sie einmal kannte – als hätte ein Körperfresser seinen Platz eingenommen. Mona wusste, dass dieser Blödmann Paul neben ihm saß und eine verschwörerische Grimasse schnitt. Warum brach er sich nicht mal was?

Die Funkstille entschuldigte Albert damit, in den Bergen keinen Empfang gehabt zu haben. Danach hatten sie und Albert mechanisch wie zwei Roboter Höflichkeiten ausgetauscht:

»Wie war dein Silvester?« Hoffentlich beschissen.

»Gut.« Ellenlanger Subtext.

»Meins auch.« Gelogen. »Hast du mit Alexander gesprochen?«

»Ja, heute. Es scheint ihm gut zu gehen.«

»Er macht sich toll, nicht wahr?«

»Ja.«

»Ich bin sehr stolz auf ihn.« Und vermisse ihn entsetzlich.

»Ja, ich auch.« Mehr als ich sagen möchte.

»Und, was machst du heute noch?« Dich vermisse ich auch.

»Nichts.« Nichts, was ich dir sagen möchte. »Und was machst du?«

»Auch nichts. Einen Gemütlichen zu Hause.« Am liebsten mit dir. »Wann kommst du zum Essen?« Ich wünschte, es wäre alles so wie früher.

»Ich muss mit Kunden zum Dinner, warte nicht auf mich.«

»Na gut, bis später.«

Schon beim Betreten der Wohnung spürte Mona, dass sie nicht mehr so war, wie sie sie verlassen hatte. Sie ließ ihre Tasche und ihre Einkäufe an der Wohnungstür fallen und lief im Daunenmantel durch die Zimmer. In der Küche war alles an seinem Platz. Erst jetzt atmete sie langsam wieder aus. Sie ließ einen Panoramablick durchs Wohnzimmer schweifen – alles normal. Auch in ihrer Bibliothek, die sie beide als Arbeitszimmer nutzten, schien alles okay, doch als sie zurück in den Flur ging, merkte sie, dass etwas fehlte. Sie sah noch mal nach. Alberts Laptop samt Tasche und Zubehör, überhaupt seine ganzen Kabel und Akkus und Ladegeräte waren weg. Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Sie raste ins Schlafzimmer, sah sich panisch um. Das Bett war unberührt, keinerlei Spuren eines Einbruchs. Sie stürzte ins Bad, knipste alle Lichter an. Verdammt, sie konnte sich nicht erinnern, was Albert alles für die Hütte eingepackt hatte. Natürlich fehlten Zahnbürste und Rasierzeug, wenn er auf Reisen war. Aber war der Wäschekorb wirklich so leer gewesen? Als Mona die Schränke im Ankleidezimmer aufriss, präsentierte sich mit einem Mal die schmerzende Gewissheit: Die leeren Holzbügel klapperten gegeneinander. Die Schubladen brauchte sie gar nicht aufzuziehen, um zu wissen, dass nichts drin lag. Kraftlos schloss sie die Schranktür.

Was für ein verdammter Lügner, dieser Kaffeesatz!

Die nächsten Tage tigerte Mona wie eine Wildkatze im Käfig durch ihre unbemannte Raumkapsel namens Zuhause, die halt- und ziellos in einem finsteren Universum herumzuschweben schien. Sie stellte sämtliche Telefone aus und zog in Bademantel und Wollsocken und mit zerzausten Haaren heulend von Bett zu Sofa und von Sofa zu Bett, eine Hänsel-und-Gretel-Spur von verrotzten Tempos hinter sich herziehend.

Wenn die Schleusen erst mal geöffnet waren, löste jede noch so kleine Kleinigkeit Sturzbäche aus. Selbst die Werbeblöcke im Fernsehen, in denen glückliche Familien gemeinsam Tütensuppen aßen.

Grund zu weinen hatte sie in ihrer Ehe selten gehabt. Es war ja nicht das erste Mal, dass Albert rausgestürmt und abgetaucht war. Aber es war das erste Mal, dass er nicht wieder einlenkte. In ihrer Schockstarre war sie nicht mal auf die Idee gekommen, das Türschloss auszuwechseln. Aber wieso sollte sie Albert auch den Zugang verwehren, wenn sie doch hoffte, dass er zurückkehrte? Und zwar bald.

»Dieser Anschluss ist vorübergehend nicht erreichbar.« Entnervt schmiss Mona ihr Telefon in die Sofakissen. Hilfesuchend sah sie aus dem Fenster. Das gleißend helle Sonnenlicht ließ den Schnee wie ein Meer aus Milliarden Kristallen glitzern. Deutlich hob sich die kleine, dunkle Silhouette ihres neuen Freundes dagegen ab.

»Weißt du was? Ich hasse diese Ansage!«, sagte Mona zu ihm. Dennoch ließ sie sie wieder und wieder über sich ergehen, wie ein Pawlow’scher Hund. Irgendwie schien sie die traurige Erkenntnis, dass Albert seine private Handynummer geändert und ihr nicht mitgeteilt hatte, nicht wahrhaben zu wollen. Jetzt konnte sie ihn nur noch über seine Geschäftsnummern anrufen. Ein völlig sinnloses Unterfangen, da Albert nie ranging, jedenfalls nicht, wenn sie anrief. Ihre eigenen Telefone lahmzulegen war also eher ein Akt des Selbstschutzes als der Abschottung gewesen. Allerdings mit einer schmerzlichen Nebenwirkung: Nun konnte Mona auch mit Alexander nur noch an Werktagen vom Laden aus sprechen, wo sie auch noch gezwungen war, ihre Servicemaske aufzusetzen und zu funktionieren.